Von dem frechen jungen leben

[139] In des Müglings langem ton.


24. septemb. 1543.


1.

Man saget von eim leben weis, als er war alt,

het er zwen sün und gab iedem ein grünen walt,

tet in darzu drei guter lere geben:

»Zum ersten solt ir fechten mit keim menschen nit,

weil sein sterk aller tiere sterke übertrit;

auch tut mit den nachbauren fritlich leben;

Zum dritten habt die weld in er,

auf das die tierlein junge drin aufziehen;

und so ir folget meiner ler,

so mügt ir allem ungelück entfliehen.«

nach dem der alte leb gestarb.

sein elter sun folget des vatters rate,

darmit gunst, er und gut erwarb.

der jung leb übt vil mutwilliger tate,

mit sein nachbauren zankt und balgt,

niemant um in kunt wonen;[139]

auch würget er der tier on zal

durch berg und tal,

mer, dan er zur notdurft bedorft,

keines tet er verschonen.


2.

Die tierlein flohen; darvon wurt der walt gar öd,

derhalb sein narung in die leng wurt schmal und spröd;

er kam zu seim bruder, tet im das klagen.

Sein bruder sprach: »ich halt mich unsers vatters ler;

du wütest, das um dich kan niemant bleiben mer,

des mustu abnemen in alten tagen.«

Er fürt in mit im in sein walt,

den sach er springen vol der wilden tiere.

der jung leb sach ein weidman alt

stellen sein garen in waldes refiere;

er sprach: »den jeger reiß zu tot;

er wil die tierlein in dem walde fahen.«

er sprach: »unser vatter gebot,

wir solten uns mit keinem menschen schlahen;

er sei sterker und hab vil list.«

der jung leb sprach vermeßen:

»was get des alten bot mich an?

disen weidman

wil ich zureißen durch mein sterk

und wil in darnach eßen.«


3.

Der jung leb loff wol unfürsichtig in die strick,

der jeger schlug in mit eim bengel auf sein gnick;

der leb sprach: »weidlich schlag mein herz und oren!

Das ich meins vatter ler hab gehort und verschmecht,

darum sint deine streich auf mich billig und recht.

mit kolben muß man laufen solche toren.«

Aus diser fabel nem drei ler:

ein man erstlich mit iederman sei fritsam;

zum andern beweis zucht und er

der nachbaurschaft, sei in freuntlich und mitsam;[140]

zum dritten acht hab auf sein gut,

das er es mer, doch mit gerechtem handel.

und wan er also leben tut,

fritlich, freuntlich in allem seinem wandel,

so erlangt er gut, er und gunst

bei iederman auf erden;

wer aber hadert zankt und greint,

dem wirt man feint,

das iederman in scheucht und fleucht;

des muß er ellent werden.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 139-141.
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