17. An die Erinnerung

[272] Süßer Wehmut Gefährtin, Erinn'rung,

Wenn jene die Wimper sinnend senkt,

Hebst du deinen Schleier und lächelst

Mit rückwärts gewandtem Gesicht.
[272]

Still und hehr, wie der schweigende Vollmond

Die Gräber bescheint, betrachtest du

Das Vergang'ne, weilenden Blickes,

Wie Bräute des Bräutigams Bild.


Deine dämmernden Bilder sind lieblich,

Wie tauender Duft im Abendrot!

Deine Stimm' ist sanft, wie der Flöte

Im Echo entschwindender Hall.


Oftmals zeigst du, in duftiger Ferne,

Mir freundlich der Jugend Lenzgefild;

Oder reihst in Kränze die Veilchen,

So Liebe mir, sparsam nur, las.


Oft erscheinst du mir, lächelnd durch Thränen,

Und kosest mit mir, vertraut und lang,

Von den toten Lieben, an Gräbern,

Die höheres Gras schon umwallt.


Mir willkommen im Schleier der Trauer!

Willkommen im heitern Silberflor!

Rasch entfleucht der Gegenwart Freude;

Du, sinnende Trösterin, weilst!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 272-273.
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