28. Psyches Trauer

[288] Psyche seufzt, in tiefer Kerkerhalle,

Nach Erlösung; ach! sie forscht nach Licht:

Bangt und hofft, und lauscht bei jedem Schalle,

Ob das Schicksal ihre Riegel bricht.


Psyches Ätherflügel sind gebunden;

Doch voll Mutes, wenn sie leise stöhnt,

Weiß sie: Nur in schwülen Prüfungsstunden

Sproßt die Palme, die den Sieger krönt;


Weiß, daß Dorngestrippe Rosen tragen,

Blumengold entkeimt der öden Gruft;

Ihren Kranz erringt sie durch Entsagen,

Ihre Kräfte stählt die herbe Luft.


Ihre Freuden kauft sie durch Entbehren,

Durch verlängter Sehnsucht Wehmutstraum;

Daß nicht Strahlen ihr den Schlummer stören,

Dämmern Schatten um des Lebens Baum.


Psyches Klag' ist Lispel einer Flöte

Aus dem mondbeglänzten Weidenstrauch;

Ihre Zähren Tau der Morgenröte;

Ihre Seufzer Nachtviolenhauch.


Bei Cypressen sproßten ihre Myrten;

Weil sie viel geduldet, liebt sie viel.

Liebe führt nur durch der Trennung Syrten

Zu des Wiederfindens Wonneziel.


Dulden kann sie; Bürden mutig tragen;

Stumm sich beugen vor des Schicksals Schluß;

Ihre Wonn' ist in gelaßnen Klagen,

Und ihr Labsal des Gefühls Erguß.


Ach! das Vorgefühl in Finsternissen,

Das zum Aufflug ihre Schwingen sträubt,

Ist nur Ahndung; Stückwerk all' ihr Wissen;

Ihre Wahrheit, was sie redlich gläubt.
[289]

Dunkel birgt das Ziel von Psyches Sendung;

Und ein Blick, der oft in Thränen blinkt,

Reicht nicht bis zum Gipfel der Vollendung,

Wo der Täuschung Nebelschleier sinkt.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 288-290.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Anthologie aus den Gedichten von Matthisson und Salis