41. Morgenpsalm

[303] Der Erdkreis feiert noch im Dämmerschein;

Still, wie die Lamp' in Tempelhallen, hängt

Der Morgenstern; es dampft vom Buchenhain,

Der, Kuppeln gleich, empor die Wipfel drängt.

Sieh, naher Felsen düstre Zinn' entglüht

Der Rose gleich, die über Trümmern blüht.


Wem dampft das Opfer der betauten Flur?

Ihr Duft, der hoch in Silbernebeln dringt,

Ist Weihrauch, den die ländliche Natur

Dem Herrn auf niedern Rasenstufen bringt.

Die Himmel sind ein Hochaltar des Herrn,

Ein Opferfunken nur der Morgenstern.


Im Morgenrot, das naher Gletscher Reih'n

Und ferner Meere Grenzkreis glorreich hellt,

Verdämmert seines Thrones Wiederschein,

Der mild auf Menschen, hell auf Gräber fällt.

Er leuchtet Huld auf redliches Vertrau'n

Und Licht der Ewigkeit durch Todesgrau'n.


Noch wandeln wir, wo kaum der Aufgang tagt,

Im ersten Frühschein der Unsterblichkeit.

Der Tag, wo Unschuld nimmer irrt, noch klagt,

Glänzt hinter Gräbern auf und ist nicht weit.

Des Wahnes Dunst, des Todes Nacht zerfleußt,

O Allmacht, dir, die mir Erlöser heißt!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 303-304.
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