9. Winterlied

[263] 1785.


Das Feld ist weiß, so blank und rein,

Vergoldet von der Sonne Schein,

Die blaue Luft ist stille;

Hell wie Kristall

Blinkt überall

Der Fluren Silberhülle.


Der Lichtstrahl spaltet sich im Eis,

Er flimmert blau und rot und weiß

Und wechselt seine Farbe.

Aus Schnee heraus

Ragt, nackt und kraus,

Des Dorngebüsches Garbe.


Von Reifenduft befiedert sind

Die Zweige rings, die sanfte Wind'

Im Sonnenstrahl bewegen.

Dort stäubt vom Baum

Der Flocken Flaum

Wie leichter Blütenregen.
[263]

Tief sinkt der braune Tannenast

Und drohet mit des Schnees Last

Den Wandrer zu beschütten;

Vom Frost der Nacht

Gehärtet, kracht

Der Weg von seinen Tritten.


Das Bächlein schleicht, von Eis geengt;

Voll lauter blauer Zacken hängt

Das Dach; es stockt die Quelle;

Im Sturze harrt,

Zu Glas erstarrt,

Des Wasserfalles Welle.


Die blaue Meise piepet laut;

Der muntre Sperling pickt vertraut

Die Körner vor der Scheune.

Der Zeisig hüpft

Vergnügt und schlüpft

Durch blätterlose Haine.


Wohlan! auf festgediegner Bahn

Klimm' ich den Hügel schnell hinan

Und blicke froh ins Weite,

Und preise den,

Der rings so schön

Die Silberflocken streute.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 263-264.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Anthologie aus den Gedichten von Matthisson und Salis