I, 1.

[21] Nacht.

Einfaches Studierzimmer mit Bücherausstattung und Lampenbeleuchtung.


FAUSTINE einfach gekleidet.

Versucht hab' ich es mit der Wissenschaft,

Der Schädelfüllung »comme il faut«.

Zum strengen Studium hatt' ich mich errafft;

Das Geistesherdchen brannte lichterloh.

Umsonst! mir ward Befried'gung nicht im Busen:

Der Kopf ward voll; das Herz doch blieb mir leer.

Jetzt zähle ich noch gar zu den Abstrusen

Und find' in meinem Selbst den Weg nicht mehr.

In klarer Schau ob dieser Schöpfung Dinge

Lag vordem noch mein einzig Glück.

Ich faßte sie in ihrem vollen Ringe;

Ich faßte sie, wenn auch nur mit dem Blick

Von außenher, in ihrer Formenmacht,

In ihrer abgestuften Farbenpracht.

Drin lag ein Spiel, von Kindheit auf gewohnt,

Das lang' mich unterhielt, entzückte.

Vom Tiefergeh'n blieb ich verschont,

Bis mich der Wissensdurst bestrickte.

Ich wagt' mich in den tiefen Fluß,

Statt aus dem Becher nur zu trinken,

Vergaß, daß man drin schwimmen muß,

Will man nicht jämmerlich versinken.

Zu schwach ist meine Kraft, mich hochzuhalten,

Im Stromgetriebe festzusteh'n.

Zur Rettung kann ich nur die Hände falten

Zum Strand hin oder kraftlos untergeh'n.[21]

Was trieb mich in der Forschung Stromesschnellen,

Was aus der sichern Burg der Weiblichkeit?

Ich wollte mir des Lebens Pfad erhellen

Und schmacht' dafür jetzt in der Dunkelheit.

Der Liebe Lichtung ward mir niemals offen;

Mir hat es in der Seele nie geblüht.

Ein frost'ger Reif, der mich als Kind getroffen,

Ließ öd' und düster mein Gemüth.

Wohl fühlt' ich schreckensvoll die große Leere;

Umsonst doch war zur Aend'rung mein Bemüh'n.

Es treibt kein Baum im lockern Sand am Meere;

Aus Fluthen können keine Flammen sprüh'n.

Versagt hat die Natur mir das Empfinden

Für unsere Ergänzer, für den Mann:

Des Menschen Glück beruhet im Verbinden.

O selig, wer erliegt dem Zauberbann!

O faßte mich doch auch ein Liebesleben,

Das viele meiner Schwestern aufwärtshebt,

So daß sie über Leid und Mühsal schweben,

Genuß sich in des Lebens Kette webt.

Vergeblich ring' ich nach des Daseins Krone:

Natur schuf dem Geschlechte mich zum Hohne.

Der Reize keinen hat sie mir bescheert:

Mich findet niemand je begehrenswerth.

Erst war mein Wunsch, daß sie mir ferne bliebe;

Doch jetzt verlang' gebiet'risch ich nach Liebe. –

Voll Neid las ich im spannenden Romane

Von Liebesdrang und von gestillter Lust.

Mit dachte ich, erfüllt vom Dichterplane,

Ein Mitempfinden ward mir nicht bewußt.

Verborgen unter schwarzbehängter Stele

Ruht todt des Lebens Puls, die heft'ge Seele. –

Weg mit dem Buch; es gehe auf in Flammen!

Zur Lüge ward's an mir. Nicht hat's den Druck,

Den ich begehre: Brust an Brust zusammen,

Gebunden durch des heißen Kusses Schmuck.

Nicht Lettern will ich seh'n, nicht flotte Sätze,

Die ein Gehirn sich einsam ausgedacht,

Damit die Les'rin sie in Leben übersetze:

Nein, Fleisch und Blut nur werd' mir dargebracht![22]

Geliebt zu werden, lieben zu vermögen,

Ist mein Begehren, meiner Sinne Regen!

Nicht länger will ich todte Schätze hüten,

Die nimmer mir ein Weltkind wechselt um,

Nicht länger mehr ob den Problemen brüten,

Die für die Lösung ewig bleiben stumm.

Dich ruf' ich an, du Schöpfer jener Keime,

Die wirksam sich ergeh'n in der Natur,

Die voll erzeugen all' die Pflanzenseime:

O einen einzigen davon mir Armen nur!

Dir mit zur Lust laß mir sich ihn entfalten!

Zum Lebewesen laß sich ihn gestalten!

Heb' mich aus mir, damit ich nicht ersticke,

Mein Ebenbild doch im Geschöpf erblicke,

Die Huld, wie Gold auf Danaë, mir regne

Und den Verband gesegnet ich dann segne!

Hast du vernommen mein gerechtes Bitten,

Du rieselnder, befruchtender Erhalter?

In Einsamkeit hab' ich genug gelitten;

Sei willig mir des höchsten Wunschs Entfalter!

Gönn' die Empfängniß mir, laß sie mich fühlen!

Bestätigend erschein' der Bitterin!

Ich merk' es an der Luft, der schweren, schwülen,

Du weilst schon, wo ich bin.

Schwing' deine Flügel über meinem Haupte;

Geh' über meine Lippen zu mir ein;

Und die des Myrtenkranzes lang Beraubte

Laß früchtespendend seine Träg'rin sein!

Die Brust zeig' ich dir zum Beschwörungszeichen:

Des Lebenstriebes Geist, laß dich erweichen!


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 21-23.
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