I, 4.

[25] Die Unabänderlichkeit erscheint in Bildung eines kaltstrahlenden Spiegels, der zwar ausstrahlt, aber keine Eindrücke aufnimmt.


FAUSTINE.

Entsetzlich! jener Spiegel, der für unsern Eindruck blind,

Nur seiner Fassung Strahlen auf die Dinge wirft.

DIE UNABÄNDERLICHKEIT.

Du bist ein ungeduldig heischend Kind,

Das von der Wahrheit bitt'ren Tranke schlürft.

Fortwährend steh' ich jedem zu Gebot;

Doch echolos verhallt' an mir der Ruf

Des Wünschenden. Um Leben oder Tod

Fleht der umsonst mich an, den man erschuf:

Ich herrsch' nach unumstößlichen Gesetzen,

Mir vorgeschrieben seit dem Weltbeginn.

Nie darf ich ihren festen Stand verletzen,

Nie reißt die Klage mich zur Aend'rung hin.

FAUSTINE.

Du weißt es schon, wie tief verletzt ich bin.

Mach' mich zum Weibe, dessen Bild ich trage!

Mach' mich zu dem, wofür die Welt mich nimmt!

Ich wende mich zu dir mit keiner Klage;

Ich ford're nur das Loos, das mir bestimmt.

DIE UNABÄNDERLICHKEIT.

Was in dir liegt, entfernet von Zerstück'lung,

Gelanget unverkürzet zur Entwick'lung.

Ob fruchtbar oder fruchtlos sei dein Schooß:

Ergieb dich in dein unvermeidlich Loos!


Der Spiegel verschwindet.
[25]


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 25-26.
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