I, 5.

[26] FAUSTINE.

Auch du giebst mich der Ungewißheit preis,

Der Menschheit herbem Loos, dem unentrinnbar

Verfallen sie, so daß sie niemals weiß,

Was ihr im nächsten Augenblicke noch gewinnbar:

Ob sie des Schreckens Abgrund jäh verschlingt,

Ob er Erfüllung ihr des Wunsches bringt. –

Was ist des Menschen Lebensgang hienieden?

Erneuter Kampf nach kaum geschloss'nem Frieden;

Ständiges Zagen und Schweben

Zwischen zunächst und soeben;

Wetterfahne im Alle

Bis zu dem endlichen Falle;

Zifferblatt wallenden Zeitstroms;

Meister nur selten des Leitstroms;

Auge, bedecket mit Flören;

Ohr, nur den Stundruf zu hören;

Freier Wille, gehemmet;

Reißender Fluß, doch gedämmet;

Stoff, in das Unabänderliche sich zu schicken,

Stets doch Veränd'rung an ihm selbst zu blicken! –

Doch die Gewißheit trag' ich heut' von hinnen:

Kampf mit der Allmacht ist ein leer Beginnen. –

Ich höre Schritte von dem Gang her schallen.

Mir naht ein Mensch nach diesen Geistern allen.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 26.
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