I, 8.

[33] Gesang der Waisenkinder auf der Straße. Weise: Ein' feste Burg ist unser Gott etc.


WAISENKINDER.

Wir sammeln uns zur Maienfahrt,

Geschmückt mit grünen Zweigen.

Um Eltern sind wir nicht geschaart:[33]

Wir sind nur Gott zu eigen.

Wir sind nur Pfand

In seiner Hand:

Der Lohn soll erst sich zeigen.

FAUSTINE.

Was lenkt mich ab von meinem letzten Plane?

Was zieht zum Ausblick mich dem Fenster zu!

Der Waisen Zug mit seiner blassen Fahne,

Der Unschuld Töne, die verkünden Ruh',

Die hellen Augen ohne Thränen

Der Kinder, die sich glücklich wähnen!

Ich komm' nicht los von ihrer Bahn;

Mich faßt ein menschlich Rühren an.

WAISENKINDER draußen singend.

Wir sammeln ein die Waisengab'.

O Herzen seid uns offen!

Der Händchen Fleiß ist uns're Hab',

Die Wohlthat unser Hoffen.

Reicht uns'rer Hand

Ein Liebespfand

In Stübern und in Stoffen!

FAUSTINE.

All' meine Habe ihrer Noth!

Ich fühl' ein göttliches Gebot.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 33-34.
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