II, 6.

[44] Musarion kommt in Burschentracht – aus den 20er Jahren dieses Jahrhunderts – auf sein Haus zu.


MUSARION.

Verzeihung, Dame! Schau'n von außen Sie mein Haus?

Geh'n lieber Sie hinein: drin nimmt sich's besser aus.

Von je her liebt' ich nicht, mich zu verstecken.

Die Allgewalt erringen nur die Kecken.

Bei Ihnen will ich Zutritt bald erlangen.

Ich bitt', bei mir es ähnlich anzufangen.

FAUSTINE aufspringend.

Sie sind von Ueberrumpelung Liebhaber.

MUSARION.

In meinem Wörterbuch steht weder wenn noch aber.

Gleich auf das Ziel los, heißt's bei mir:

Ich steh' der Gnädigen zu Dienst dafür.

FAUSTINE.

Ihr keckes Wesen mir gefällt,

Weil mich es köstlich unterhält.

Eröffnen Sie mir Ihres Wesens Schleusen:

Sein Strom wird mich nicht gleich zusammenreißen.

MUSARION.

Ich bin ein Musensohn, der aller Orten hascht,

Der froh an jeder Blume nascht

In weitester Peripherie

Und doch den Mittelpunkt verlieret nie;

Im Grund lieb' ich nur eine Sie.

Ich ziehe gern Sie ein in meine Kreise.

Dies mein Vertrauen zum Beweise.[44]

FAUSTINE.

Gedrucktes hab' von Ihnen ich noch nichts gelesen;

Doch mir behagt das aufgeräumte Wesen

Als Mittel gegen trüben Sinn,

Dem oft ich unterworfen bin.

Daß Sie auf off'nem Weg mich stellten, imponiert.

Dergleichen war im Leben mir noch nicht passiert.

MUSARION.

Verwandtes leuchtete mir gleich aus Ihrem Blick.

Ich fing es auf und stell's nicht mehr zurück.

Sie dichten auch; ich les' es auf der Stirne;

So findet sich zum Apfel rasch die Birne.

FAUSTINE.

Ich hoffe, beide haben rechten Saft.

Nun gut! gebrauchen wir die Kraft

Gemeinsam, stärker noch zu werden,

Als liefen wir auf Vieren gleich den Pferden.

Ich will in Ihrem Umgang mir gefallen.


Für sich.


Der Erste, der nicht fürchtet meine Krallen.

Hab' wirklich ich Eroberung gemacht,

Den Sieg errungen ohne eine Schlacht?

MUSARION.

Darf ich in etwas Freundschaft mich bewähren,

So wie der Mantel bei zu rauhem Wind,

Wie der Kamin, wenn wir im Winter sind?

Und werd' als Wärmer ich im Haus nicht stören?

FAUSTINE.

Am neuen Wall in Nummer hundert drei

Erscheinen Sie; die Zeit ist einerlei.


[45] Für sich.


Ich will mich in was Neuem üben

Und mich in diesen Mann verlieben. –


Zu Musarion.


Es wird schon dämm'rig, und die Nacht beginnt.

Ich muß nach Hause mit dem zarten Kind. –


Ein Irrlicht zeigt sich.


Noch eins! Seh'n dort am Teich im Nebelstreifen

Sie nicht das tolle Irrlicht schweifen?

Bald kommt's uns näher, bald entflieht's.

Jetzt voll in uns're Bahnen zieht's.


MUSARION.

Man glaubt, nun mit der Hand es zu erreichen.

Das ist ein ganz besond'res Zeichen.

FAUSTINE.

So dünkt's auch mich. Doch scheiden wir.

Wir wollen seh'n, wem von uns zweien

Sich's werde an die Fersen reihen.

MUSARION.

Der Dame folgt's und nicht dem Mann.

Ob drin es unterscheiden kann?

FAUSTINE.

Wie grauslich! Ob ich ihm entrinne dann?

Drauflosgeh'n brächte mir Verderben.

MUSARION.

Im Sumpfe sollen Sie nicht sterben.[46]

FAUSTINE.

Ich fliehe mit dem Kinde. Gute Nacht!


Faustine mit Irma ab. Das Irrlicht folgt ihnen.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 44-47.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon