II, 9.

[48] Das großgewordene Irrlicht verdichtet sich immer mehr zu einer Menschengestalt und tritt dann aus dem hinteren Theile der Veranda plötzlich in bürgerlicher Kleidung und bartlos als das teuflische Genie Praktinski in den Vordergrund der Veranda und so auch vor Faustine.


PRAKTINSKI.

Was haben Sie für ein entsetzlich Bangen!

Sie halten für den Gottseibeiuns mich.[48]

Ich bin der Athem nur von gift'gen Schlangen,

Durch den des Mondes Strahlung strich.

Beachten Sie, ich kann auch menschlich kommen:

Wir Geister tragen oftmals irdische Livree;

Und fühlen wir uns auch darin beklommen,

Thun wir den Augen dann nicht weh'.

Ich hört' durch Zufall gestern Ihre Schreie

Zu meinen bessern Vettern, pflichtbewußten;

Da trieb's mich, daß ich Ihnen Hülfe leihe,

Weil jene sie verweigern mußten.

Kann meinen Anverwandten Trotz ich bieten,

Geschieht's. Ich liebe nicht den Frieden.

FAUSTINE.

Ihr kommt zu spät. Seit meiner gesterigen Handlung

Ging in mir vor totale Wandlung.

War gestern ich verzweiflungsvoll,

So bin ich heut' vor Freude toll.

Ja solch' ein Umschlag ist wohl zu verwundern!

Ich kenn' in meinem Wesen keinen buntern.

Bei meinesgleichen hab' ich Heil gefunden;

Den Menschen bin ich wiederum verbunden.

Ich war ihr ausgestoß'nes Glied,

Das halb freiwillig, halb gezwungen schied,

Getheilet zu zwei wunden Stücken,

Die wieder sich zusammenflicken.

Stört nicht der Seele Heilprozeß,

Den fromme Liebe in der Brust vollziehet

Durch der Gemeinschaft Zaubermacht, indeß

Die Qual der Weltverlassenheit aus mir entfliehet!

Gönnt mir die Seligkeit, die aufgekeimtes Hoffen

Der lang' Gedrücktgewes'nen bietet!

Der Raum der Schöpfung steht mir nun zum Schalten offen;

Ich aber hab' mir ihn beschränkt umfriedet.

PRAKTINSKI.

Traut nicht der Sicherheit, die oft betrüget;

Sie ist wie Eis, das, kommt die Sonne, thaut.[49]

Den festen Boden, den ihr vor euch lüget,

Durchwühlet neu der Zweifel schleichend Kraut.

Und eines Tages stürzt vermeinte Herrlichkeit

Zusammen; aus den Trümmern steigt das Leid.

FAUSTINE.

Welch häßlich Bild, das Bild vom großen Wechsel!

Hat denn hienieden kein Gefühl Bestand?

Wird fester Stamm zu Spänen unter dem Gedrechsel

Des nimmermüden Stahls, Veränderung genannt?

Die Dauer suche ich im Glücke; beutst du diese:

So machst die Erde du zum Paradiese

Und bist mein Mann; wo nicht, du armer Teufel,

Laß ab von deinem Balsamssaft-Geträufel!

In vollen Stürzen will ich wild Genuß,

Nicht stündlich einen Löffel voll im Guß.

Die alte Leier kann ich selbst mir schlagen;

Dazu brauch' ich die Seele nicht zu wagen.

Geh' deiner Wege!

PRAKTINSKI.

Nicht wirst du mich los

So leichten Kaufs. Ich leg' dir eitel Glück in Schooß:

Den stolzen Ruhm des glänzendsten Erfinders,

Des Blitzbewegung nützenden Begründers

Von neuen Sphären,

In denen alle Dinge sich verklären.

FAUSTINE.

Wie? Was? Das ließ sich, alter Prahler, hören!

Mit deiner Farb' heraus!

PRAKTINSKI.

Für heut' will ich nicht länger stören.

FAUSTINE.

Du willst mich auf die Folter zieh'n. Der Köder[50]

Entbehrt des Angelhakens. Dennoch lockt er an.

Der Nächste ist einmal sich selber jeder:

Wohl, so enthüll' mir deinen Plan! –

Der Preis dafür wird stattlich sein!?

PRAKTINSKI.

Nur mäßig, klein! Ich handle höchstens ein Gewissen em.

Doch heute kann ich's nicht. Ich muß zur Satanssitzung.

Ich bin im höllischen Kolleg geheimer Rath.

Doch zählen Sie für späterhin auf Unterstützung.

FAUSTINE.

Was, Teufel, wühlst du mir denn heute g'rad'

In meinem Eingeweid', wo ich doch glücklich war!?

PRAKTINSKI.

Ich lock're nur ein wenig das Verlangen,

Damit's in Gleichmuth nicht zu sehr sich setzt.

Wir haben Mangel an Genieen jetzt.

FAUSTINE.

Weßhalb kamst g'rade du zu mir gegangen?

Millionen and're spielten gern in deiner Lotterie.

PRAKTINSKI.

Das ist von mir ein eig'nes Unterfangen.

Vielleicht, daß ich verliebt in Sie!

FAUSTINE.

Den Vorhang auf! Genug des Präludierens!

Ich will erfahren gleich, was sich da spielt.

PRAKTINSKI.

Ihr seid nicht Freundin langen Zierens.[51]

Doch wie ihr auf das End' auch zielt:

Heut' ist mir selbst der Anfang noch nicht möglich.

FAUSTINE.

Der Teufel gar wird unerträglich,

Wenn eine Seele er verschmäht,

Die schon vor seinem Netze steht.

PRAKTINSKI.

Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

Die Höllenregel bringt uns viele bei. –


Sternschnuppen fallen im Hintergrunde in Menge.


PRAKTINSKI.

Seht der Sternschnuppen Fall ihr oben?

FAUSTINE.

Vollkommen! Und ihr sagt mir frei,

Ob jeder dieser eine abgestürzte Seele sei?

PRAKTINSKI.

Dem Himmel wohl entrückt, der Erd' doch zugewendet

Verbleibend mit der Kraft, die sie noch spendet. –

Seht diese feu'rige Kaskade euch noch weiter an,

Bedenkt, wie man sie nützen kann.

Jetzt scheidend, sag' ich weiteren Besuch euch zu.

Für heute geht zur wohlverdienten Ruh'.

Das Kind zu der Beglückung rückte an;

Ich hoffe, daß bald folg' der Mann.

FAUSTINE.

Was geht euch mein Vergnügen an?!

Das sind nicht Dinge, die ein Teufel bieten kann.[52]

Weg, Satan, der den Himmel mir in Aussicht stellt,

Doch immer höllisch nur verspricht, nicht hält!

PRAKTINSKI.

Ich dank' für die Entlassung.


Versinkt im Boden.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 48-53.
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