III, 4.

[60] Der Fuchs tritt auf.


FUCHS.

Sieh an, welch voll bemoostes Weiberhaupt! –

Ich hab' an euch ein bittlich Schreiben,

Das meine Muhme abgefaßt;

Und fall' ich euch damit zur Last,

So wollt mich doch nicht gleich vertreiben.

Reicht eure Zeit nicht aus zur That,

So gebt mir wenigstens doch Rath. –

Ich weiß, daß mit den frühern Wissenschaften

Die Neuzeit gründlich aufgeräumt.

Gelehrtheit soll am Aktuellen haften.

Wer Griechisch und Lateinisch treibt, der träumt.

Die Philologen sind nun kalt gesetzt;

Zur Mythe ward die Archäologie.

Volkswirthschaft, Politik florieren jetzt

Und nicht zum mindesten Soziologie.

Getränkt mit Patriotismus wird Geschichte;

Gefärbt wird sie im gegenwärt'gen Lichte.

Gewinnt sie so doch an Gewichte.

Zumeist gilt sie jetzt nur als Lebenszierde

Wie Kunsthistorie und Poetenschau.

Dafür studiert man voll Begierde[60]

Mechanik und den Wasserbau.

Auch die Naturerkundung hat nicht mehr den alten Flor;

Ein Schüttelfrost ist über sie hereingebrochen.

Haarspalterei thut drin sich jetzt hervor:

Man schätzt nicht mehr das Fleisch; man liebt die Knochen.

O rathet mir doch, welche Fächer

Mir werden sollen Mauerbrecher!

PRAKTINSKI.

Mein junger Mann! Ihr wollt die Rollen wohl verkehren;

Ihr steht schon über mir und könnt belehren.

Mit einem Wort, ihr scheint mir schon

In's Wissensleben rücklings eingedrungen.

Das zeigt mir klar der kalte Hohn,

Mit dem zu urtheil'n euch gelungen.

Zwar weiß ich gar nichts von der Vorbereitung,

Die euch seither zum Studium ward –

Maturität giebt keine Unterscheidung –.

Vertraut euch drin der eig'nen Leitung:

Stampft keck den Boden, und auch wie ein Füllen scharrt!

Vielleicht, daß euch gelingt, in Tiefen einzudringen

Und goldverwandte Schätze aufzubringen.

Ein blindes Huhn auch trifft ein Korn:

Dies Sprüchlein sei zum Suchen Sporn.

Doch machet mit den Wissenschaften Kehr',

Sobald euch bleibt der Kopf und Magen leer!

FUCHS.

Vergebens trag' ich nicht die Brille.

Was mir gebricht, das setzen and're bei.

Drum bitt' ich, daß der gute Wille

Der Gönn'rin mir gefällig sei.

PRAKTINSKI.

Wohin treibt euch des Geist's Verlangen?

FUCHS.

'ne gute Stellung möcht' ich in der Welt erlangen.[61]

Womit ich Brod verdien', das ist mir einerlei;

Nur daß ein Stückchen Fleisch daneben sei.

Ein Amt erwirbt sich leicht im großen Staate.

Ich zähl' dabei auf Gunst, sogar auf Gnade.

Gern stütze äußerlich ich unsers Fürsten Thron;

Doch eigentlich schaff' ich zu meinem Lohn.

PRAKTINSKI.

Zwar geben auch noch Wein die Träber;

Doch um den Flug ist es darin gescheh'n!

Man nennet Leut', wie ihr seid, Streber.

Damit sind wir schon wohlverseh'n.

Sie lernen auch kein Jota mehr, als nöthig

Für ihren Posten ist, und haben ausgestrebt,

Sobald das Glück sich ihnen zeigt erbötig

Und sie in Amt und Würde hebt.

FUCHS.

Das ist mein Fall! So werd' ich denn Juriste.

Ein Kodex macht mir dann die Sache leicht.

Von Anfang an hab' fertig ich die Liste

Von dem, was in der Praxis an mich reicht.

Ein Kanon wird mir, wie dem Kind die Fibel

Und einer frommen Seele deren Bibel.

PRAKTINSKI.

Allein der Scharfsinn, dieser Unterscheider!?

Wenn er euch fehlt, so mangelt euch der Schluß.

Die Unterscheidung ist der Weiterleiter,

Der auf die rechte Fährte bringen muß.

FUCHS.

Die Uebung soll mir alles das ergeben;

Ich schwöre nur auf das Gedächtnis eben.

PRAKTINSKI.

So schärfet es und füllt damit die Lücken,[62]

Die in euch gähnen, schichtenartig aus.

Ihr baut ein Haus von Anfang an in Stücken,

Das fallen muß beim ersten Windesbraus.

FUCHS.

Ich würde ängstlich, zeigte nicht Erfahrung,

Daß Tausende auch ohne Bindegeist

Es zu Beruf gebracht und Nahrung.

PRAKTINSKI.

So bleibet denn im Leben dumm und dreist.

FUCHS.

Das schmeckt nach Grobheit! Doch ich steck' sie ein.

Es wird für mich die einzige nicht sein.

Ein breiter Rücken trägt sie leicht,

Wenn er nur sonst sein nahes Ziel erreicht. –

Ich laß' mein Album hier, wie sich's gebührt:

Vielleicht, daß drin ihr den Besuch quittiert?

In einer Stunde hol' ich es mir wieder.


Ab.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 60-63.
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