IV, 7.

[88] Der Müller tritt auf.


DER MÜLLER.

Sieh da! Mein alter Kompagnon!

Ihr bringt mir wohl verleg'ne Waare? –

Die spricht ja noch dem Alter Hohn;

Der sitzet noch kein Mehl im Haare.

PRAKTINSKI.

Das will ich meinen! Nur ein Bißchen

Aufbesserung ist hier vonnöthen,

Auf daß noch süßer schmecken ihre Küßchen,

Und in das Blut ein leichter Flüßchen.

DER MÜLLER.

Wir wollen sie zusammenlöthen. –

Mein Fräulein! nur der Leiter hier hinauf.

Die Burschen schieben Sie zur Mündung;

Dann überfließet Sie ein Wein- und Wasserlauf;

Der giebt den Formen volle Ründung

Und spült die Falten all' hinweg.


Faustine unterliegt mit Widerstreben der Einschiebung mit dem Kopf zuerst.


FAUSTINE.

Die Griffe sind doch gar zu keck!


PRAKTINSKI.

Nun, Teufelsmüller, den Sermon!

DER MÜLLER.

Ich bin am ersten Verse schon.

Nur erst die Würze noch hinein;

Dann wird der Spaß gelungen sein.[88]

»Durchfeuchte bis zum Herzen,

Durchdringe bis in's Mark,

Die Fehler auszumerzen

Und allen alten Quark!

Steck' auf die frischen Kerzen

Und zünd' sie jubelnd an,

Damit zu Lust und Scherzen

Geöffnet sei die Bahn! –

Der Frühling schließ' sich an den Winter an!«

PRAKTINSKI.

Das funktionieret trefflich in dem Haus!

Hier unten kommt die Dame schon heraus!

Und wie bezaubernd sieht sie aus!

DER MÜLLER zu Faustine.

Nun wollet gleich in diesen Spiegel seh'n!

Gewiß, ihr findet drin den Anblick schön.

FAUSTINE in den Spiegel sehend und zurückprallend.

Nicht blick' ich mich; Musarion sehe ich!

Er schaut nach mir, senkt auf die Kniee sich.

Was ich für unausführbar hab' gehalten,

Es will sich schon vor meinem Aug' gestalten. –

Nur Täuschung ist's, verdammter Sinnentrug!

Ward ich geängstiget nicht schon genug?

Soll ich erdulden denn tantal'sche Qualen,

Mich sättigen an hingemalter Frucht?

Und doch wie wärmend sind des Spiegels Strahlen.

Entzückend Bild, ergreife nicht die Flucht!

PRAKTINSKI.

Laß die Erscheinung! Denn in Wirklichkeit

Sollst alles das du bald besitzen;

Du brauchst nur mit dem Aug' zu blitzen.

Doch jetzt steht dir ein Bett bereit,

Um nach dem Bade stark darin zu schwitzen.[89]

FAUSTINE.

Ich kann dem Bilde nicht den Rücken dreh'n:

Es hält die aufgeregten Sinne mir gefangen.

PRAKTINSKI.

So wird am Ende dir gescheh'n,

Daß die drei Kerle nach dir langen.

FAUSTINE.

Noch eine Labung aus dem Spiegel!

So lechzend, möchte ich hinübergeh'n! –

Und jetzt kann ich mich selbst darinnen seh'n.

Die Lust zerreißt den letzten Zügel!

Ich bin verführerisch, bin schön!

PRAKTINSKI.

Du glaubst nun wohl an meine Wunder?

Nur Muth! Es kommt noch täglich bunter.


Zum Müller.


Zwar kannst du keine Eva schaffen:

Zum Menschen machen doch den Affen!


Praktinski führt Faustine nach seitwärts ab; die Uebrigen sehen beiden nach.
[90]

Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 88-91.
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