V, 10.

[102] Innocentia erscheint.


INNOCENTIA.

Ihr findet mich noch aufgeregt und bleich

Nach dem, was eben ich erlebte.

Das Schicksal spielte mir gewaltig einen Streich,

Von dem ich bis in's Innerste erbebte.

Musarion wird von einer Nebenbuhlerin

Umgarnt, die höhnisch meiner Liebe lacht.

Wir kämpften schon um den Besitz, um ihn,

Der zur Entscheidung keine Miene macht.[102]

HERTHA.

Mein Herzchen! Ist es denkbar, dieser Treue,

Der wie dein Schatten an dir hing,

Er fühlte über das Verhältniß Reue

Und tauscht' mit einer Anderen den Ring!?

INNOCENTIA.

So wird es kommen müssen! Sein Betragen

Hat ihn aus meinem Herzen schon verschlagen.

Ich suchte Kraft und Schutz bei diesem Mann;

Doch ließ er sich erbärmlich an.

Es thut nun noth, daß ich mich selber wehre.

Was haben anders wir dazu als diebessich're Ehre?

HERTHA.

Du wirst den muntern Fant doch nicht verstoßen?

INNOCENTIA.

Was soll ich mit dem Hoffnungslosen?

Verzeihen kann ich alles einem Mann:

Nur Halbheit kränkle ihn nicht an!

Fest muß er zu mir steh'n

Und der Gefahr in's Auge seh'n.

Mit mir muß steigen er und sinken,

Muß jubeln er und Leid ertragen,

Genießen und, wenn's Noth, entsagen,

Vom Himmel Beute sich erjagen,

Der Hölle selbst entgegenblinken:

Sonst nenn' ich einen Weichling ihn,

Der meine Spuren möge flieh'n!

HERTHA.

Da mußt du einen von den Kriegern nehmen,

Die sich zu jeder Last bequemen,

Ihr Blut bedenkenlos verspritzen

Und fest in dem Quartiere sitzen.[103]

INNOCENTIA.

Wer hätt' an solchen Wandel je gedacht,

Den einzig mir Faustine hat gebracht!

HERTHA.

Faustine? Die Studentin? Hör' die Kunde,

Die man von ihr in Bürgerkreisen munkelt:

Sie stehe mit der Höll' im Bunde

Und sei schon mit dem Satanas verkunkelt.


INNOCENTIA.

O Höllensamen, der als Giftstrauch aufgeht! –

Ja, zu ihr trat ein Mannskerl eigenartig,

Dämonisch blickend, im Gesichte schartig,

Mit bösem Zug, der bis zur Stirn' hinaufgeht.

Weh', weh', da naht in eigener Person er!

HERTHA.

O Schrecken! wär' nur wieder schon davon er!


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 102-104.
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