V, 15.

[109] Nacht.

Musarion's sonderbares Gemach.

Weinlaubgehänge an den Wänden und als Soffitten. Ein Bacchantenzug auf die Wände gemalt. Der Haupteingang zeltförmig gestaltet, ebenso die Fenster. Beleuchtung durch farbige Lampions. An Stelle von Stühlen niedrige Polster am Boden. Büste des Bacchus, des Ganimed, der Hebe, des Apollo, der Thalia, der Melpomene, der Erato und des Anakreon an verschiedenen Stellen angebracht. Ein Büffett in Form eines dorischen Tempels, das mit Weinkaraffen, Humpen und Weinrömern bestellt ist. Ein Lorbeerkranz mit Schleife hängt an einer der Wände. An einer anderen eine Leier, mit Rosen umwunden. Ein Trinkhorn. Bücher und Mappen über den Boden verbreitet.

Praktinski, vornehm gekleidet und sich umsehend, enteilt eben triumphierenden Blickes aus dem Gemache. Musarion liegt in altgriechischer Tracht ausgestreckt auf einem der Polster.


PRAKTINSKI im Abgehen.

So seid Faustinen ihr noch heut' Genoß!

Ich will es gleich der Harrenden bestellen.


MUSARION.

Unreine Quelle, deren Rede floß,

Die in mein Ohr die Ueberredung goß!

Ich habe dem unheimlichen Gesellen

Versprechen müssen, hier zu seh'n Faustinen.

Die schwere Stunde ist erschienen;

Sie wird mir scharf das Urtheil fällen.

Warum mußt' zwischen mich und meine Liebe[109]

Die Zaub'rin treten und in mir verfangen,

In mir erregen unnennbar Verlangen?

O daß wie eine Blase sie zerstiebe

Und ich mit Innocentia einzig bliebe!

Den Rücken wies die Holde mir.

Ruh' find' ich weder dort noch hier.

Auf von dem Pfühle meiner Leidenschaften!

Anakreon, auf dir die Blicke haften?


Er ist aufgestanden.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 109-110.
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