V, 18.

[114] Innocentia, mit Irma an der Hand, tritt auf.


INNOCENTIA.

Ich muß ihn seh'n; sie ist zu ihm gegangen,

Wie ich in ihrem Haus vom Kind vernahm,

Das ich entrissen seinem Bangen. –

Nach ihm erwachte neu in mir Verlangen,

Der kurz mir aus dem Herzen kam.

Ich hoffe, seine Seele noch zu retten,

Die schon umfangen von der Hölle Ketten.

Musarion! – O, ich find' ihn nicht.


Faustine erblickend.


Da liegt ein Weib! Ich kenne das Gesicht.

Faustine! Todt? – O nein! sie athmet leis'.

Was soll ich für sie thun, daß sie erwache?

Verflossen ist mir das Gefühl der Rache.

Wenn ich sie nur gerettet weiß!


Beschäftigt sich damit, Faustine zum Bewußtsein zu bringen.


FAUSTINE zu sich kommend.

Was ist mir denn gescheh'n? Wo bin ich?

Ha, welch Gesicht fletscht mir entgegen!

Ist alles denn verschworen gegen mich?! –

Ja! Die Erinn'rung fängt sich an zu regen.


[114] Aufstehend.


Bei ihm, dem Buhlen, ging ich ein;

Und er – verstieß mich, ließ mich hier allein.

Dein will er wieder sein!

Verwirrung!

Irrung!

Und keine Klärung hier zu hoffen!

Dich hab' ich auch noch angetroffen.

Wie soll sich die Verquickung lösen?


Sich ängstlich umsehend.


Ich misse nur den Bösen. –

Da steht auch noch mein liebes Kind,

Das ich zu warten ganz versäumt.

Die Feindin ist ihm wohlgesinnt;

Zu ihm ein Tröpflein Liebe rinnt.

Hab' ich das alles nur geträumt?

INNOCENTIA.

Komm' voll zu der Besinnung!

FAUSTINE.

Vergeblich such' ich mir Entspinnung.

Was ist hier alles vorgegangen?!

Ereignisse sich blitzend niederschlangen,

Die wohl die Sinne konnten tödten.


INNOCENTIA.

Wie helf' ich euch aus euern Nöthen?

FAUSTINE.

Jetzt wird Erlebtes wieder klar,

Das in der Todesangst vergessen war. –

Komm', Feindin! Laß den Schreckensort uns flieh'n!

Wie? oder noch begehrst du ihn,

Deß lieblich Lächeln mir entging,

Als – Hand an ihn zu legen ich mich unterfing?![115]

INNOCENTIA.

Ist er am Leben noch? O meine Ahnung! –

Hast du ihm etwa Leids gethan?!

FAUSTINE.

Weh', mir die schauerliche Mahnung!

Wozu trieb mich der Liebeswahn? –

Er lebt, wenn auch verworfen nur!

Die letzte Stunde schlug ihm schon die Uhr;

Da trat ein Retter für ihn ein.

INNOCENTIA.

Er lebt! Ich muß ihn seh'n, den Liebsten mein!

FAUSTINE.

Bevorzugt bist du! Ich wend' mich davon.

Ich könnte mich erst an dir rächen

Und dich, die Räub'rin, niederstechen.

Mir hat er ausgelebt; das gilt für mich – auch dir.

Drin find' ich Rast für die Begier.

Es spielt sich jede Rolle aus,

Die lustigste und die mit Graus!

Zerrüttet scheid' ich aus dem Haus.


Wankend ab.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 114-116.
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