V, 28.

[125] INNOCENTIA sich zur Leiche hinbeugend.

Ich wein' dir nach, den früh' ein Missethäter

Aus seiner lieben lichten Welt verbannt.[125]

Leicht war dein Dasein wie der Aether;

Dem Himmelsblau warst du verwandt

Solch' Wölkchen ist gewachsen nicht dem Sturme,

Der seine Fittiche erhebt

Und aus dem grauen Wetterthurme

Das goldgefleckte niederbebt.

Es zitterten die Sonnenlichter

In deinem fröhlichen Gemüth.

Du warst der ächte Dichter;

Drum bist du früh' verblüht!


Sie küßt die Leiche auf die Stirne.


O daß du mich nicht nahmst zugleich

Mit dir in jenes sel'ge Reich! –

Irma! Du meine Fessel an das Leben!

O würdst du ganz mir hingegeben!


Sie sinkt auf die Kniee und verrichtet ein stilles Gebet.
[126]

Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 125-127.
Lizenz:
Kategorien: