1. Auftritt.

[3] Rosa. Dann Meißner.


ROSA sitzt auf dem Stuhl am Schreibtisch, liest die Zeitung. »Einem hochzuverehrenden Adel, sowie hochverehrlichem Publikum, allen Kunstfreunden und Gönnern dieser Stadt erlaubt sich der hochachtungsvoll Unterzeichnete die tiefergebene Anzeige zu machen, daß am 6. September im Saale des hiesigen Schützenhauses die Theater-Vorstellungen beginnen werden.« Spricht. Theater – bei uns hier – ah, das wird aber schön werden. – Liest weiter. »Die unterzeichnete Direktion wird alles aufbieten, um die gerechtfertigten Erwartungen dieser kunstsinnigen Stadt weit zu übertreffen. Alles Nähere besagen die Anschlagzettel. Hochachtungsvoll, ergebenst Emanuel Striese, Theaterdirektor.« – Spricht. Na, das weiß ich, solange die[3] Madame in Heringsdorf ist, gehe ich jeden Tag ins Theater; wenn sie wieder zurück ist, kommt man ja so wie so nicht mehr aus dem Haus und ins Theater schon gar nicht.

MEISSNER durch die Mitte, mit einem Stoß blauer Schulhefte unter dem Arm. Ganz ergebener Diener, Fräulein Rosa.

ROSA. Ach du meine Güte, bringen Sie schon wieder Extemporalienhefte?

MEISSNER. Nu ja – für den Herrn Professor – aus der Quarta – 52 Stück. Legt die Hefte auf den Tisch rechts.

ROSA. Und bis wann sollen wir sie denn durchsehen?

MEISSNER. Bis übermorgen.

ROSA schlägt ein Heft auf. »Ueber den zweiten punischen Krieg.« Na, ich danke, da wird sich der arme Professor wieder schön ärgern. Wenn ich nur von dem Krieg höre! Da schreiben die Jungen immer das dümmste Zeug zusammen.

MEISSNER. Ueberhaupt die Jungens! – Nu bin ich schon zwanzig Jahre am Gymnasium, und sie werden nicht klüger und werden nicht klüger.

ROSA. Und gerade mit dem Krieg trifft's jedes Jahr um dieselbe Zeit. Immer wenn wir in der Küche beim Gurkeneinlegen sind, ist der Professor in der Quarta beim punischen Krieg.

MEISSNER. Freilich, freilich, der Lehrplan ist wie ein Kalender. Immer wieder dasselbe.[4]

ROSA schlägt mit der Hand auf das geöffnete Heft, in dem sie einige Zeilen gelesen hat. Nein, so'n dummer Bengel! Hören Sie nur, was der da zusammenschreibt. Liest. »Nachdem die Römer im Jahre 241 vor Christi mit dem ersten punischen Krieg fertig waren, fingen sie 23 Jahre später, also im Jahre 218, den zweiten Krieg an.« Spricht. So'n Unsinn! 41 und 23 ist doch im Leben nicht 18! – Nicht mal zählen können die Jungens.

MEISSNER. Und so was sitzt in Quarta!


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 3-5.
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