3. Auftritt.

[42] Marianne. Neumeister von links.


NEUMEISTER. Liebes Kind, hier ist das Heft. – Soll ich es gleich wegschicken?

MARIANNE reißt Neumeister das Heft aus der Hand. Du hast also gar nicht bemerkt, daß ich dich nur weggeschickt habe, um aus deinem Freunde endlich etwas über dein Vorleben herauszulocken?

NEUMEISTER vorwurfsvoll. Marianne!

MARIANNE. Freiwillig erzählst du mir ja nichts, trotz all' meiner Bitten.

NEUMEISTER. Aber kommst du mir schon wieder mit dieser fixen Idee, mit der du mich schon seit vier Tagen quälst! –

MARIANNE. Es ist keine fixe Idee. Zuerst habe ich dich freilich nur halb im Scherz gefragt, aber seitdem habe ich es mir überlegt und nun ist es mir bitterer Ernst. Wenn du mich nur begreifen wolltest! Ich bin ja nicht so kindisch, auf deine Vergangenheit eifersüchtig zu sein; aber ich habe dich zu lieb, um mich mit der Rolle einer Frau im gewöhnlichen Sinne zu begnügen. Ich will dein bester Freund dein treuester Gefährte sein. Und darum verlange ich es, als mein gutes Recht, auch deine intimsten Geheimnisse kennen zu lernen. Weinerlich. Ich habe dir doch auch nichts verschwiegen.

NEUMEISTER. Wenn ich aber gar keine Geheimnisse habe?

MARIANNE. Leopold, erleichtere dein Herz.[42]

NEUMEISTER. Aber ich täte es ja so gern.

MARIANNE. Lieber einziger Leopold, tue es, tue es! O, ich habe dich oft beobachtet, wenn du glaubtest, allein zu sein, wenn du so gedankenvoll vor dich hinsahst, als ob dich trübe Erinnerungen innerlich beunruhigten. – Siehst du, gerade wie jetzt wieder! Neumeister ansehend. Letzterer wendet sein Gesicht ab. Es ist ja auch ganz unmöglich, daß bei einem Mann, wie du es bist, das Leben so im Alltagsgeleise hingerollt sein sollte. Gestehe mir doch alles – und du wirst sehen, daß du an mir eine starke und treue Freundin hast. Bitte! Bitte!

NEUMEISTER feierlich. Versprichst du mir auch ganz fest, daß du mich dann mit der Angelegenheit in Ruhe lassen wirst?

MARIANNE. Ich verspreche es dir feierlich!

NEUMEISTER resigniert. Gut, dann will ich dir die Geschichte erzählen. Geht zum Schreibtisch. Aber wirst du mir auch verzeihen können, Marianne?

MARIANNE eifrig. Gewiß, gewiß!

NEUMEISTER. Nun also – Nimmt die Mappe aus dem Schreibtisch. so höre!

MARIANNE sich auf dem Sofa behaglich zurechtrückend. Jetzt erfahre ich es also endlich!

NEUMEISTER mit der Mappe in der Hand, setzt sich zu Marianne. Also: Als ich noch Student in Leipzig war, ging ich jeden Abend ins Theater –

MARIANNE glücklich. Siehst du, davon hast du mir noch nie etwas gesagt. Küßt Neumeister.[43]

NEUMEISTER. Da lernte ich eine hervorragende Schauspielerin kennen, – hier ist ihr Bild. Reicht Marianne die Photographie.

MARIANNE. Und für sie hast du geschwärmt – hast sie geliebt?

NEUMEISTER mit einem Seufzer. Unsäglich! – Sie schenkte mir eine Rose, – diese hier – Reicht Marianne die Rose. und da ich mit leidenschaftlichem Ungestüm mehr forderte, schnitt sie sich auch noch eine Locke ab, – da hast du sie – Gibt Marianne die Locke.

MARIANNE. Du bist ein Engel! Küßt Neumeister.

NEUMEISTER. Warte, es kommt noch besser. Im sinnlichen Taumel meiner verbrecherischen Liebe schenkte ich ihr einen goldenen Ring, den habe ich ihr aber wieder weggenommen; hier ist er. Gibt Marianne den Ring.

MARIANNE. Du hast sie gewiß mit Geschenken überhäuft?!

NEUMEISTER. Oh, aber sehr!

MARIANNE. Und hast Schulden gemacht?

NEUMEISTER. Leider – hier hast du die Rechnungen – Gibt Marianne die Rechnungen. Alle unbezahlt. Schließlich habe ich sogar die goldene Uhr meines Großvaters versetzt, – hier ist der Pfandschein. Gibt Marianne den Schein.

MARIANNE. Der ist ja schon seit zwei Jahren verfallen. Machst du dir darüber gar keine Gedanken?

NEUMEISTER. Ja, es drückt mich. Aber hin ist hin.[44]

MARIANNE. Nun und weiter, weiter!

NEUMEISTER. Ist dir denn das noch nicht genug?

MARIANNE. Die Sache muß doch ein Ende haben. Was ist denn ans dem Mädchen geworden?

NEUMEISTER. Die Aermste – sie nahm den Schleier!

MARIANNE. Und ihre Angehörigen? Hatte sie denn gar niemanden?

NEUMEISTER. Richtig, – doch! einen Onkel!

MARIANNE. Der dich zur Rechenschaft gezogen hat, mit dem du dich schlagen mußtest?

NEUMEISTER. Ja, der Onkel, der gab keine Ruhe, der wollte durchaus Blut sehen. Ein merkwürdiger Mensch, dieser Onkel.

MARIANNE. Und das alles hast du bis jetzt still mit dir herumgetragen? Ein Charakter bist du, das muß wahr sein. Umarmung.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 42-45.
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