5. Auftritt.

[49] Paula. Emil Sterneck.


STERNECK durch die Mitte, mit einem Brief in der Hand. So, da bringe ich – Bemerkt Paula. Was ist denn das? – Eine junge Dame –? Die scheint krank zu sein? Wo ist denn –? Sieht sich um und findet einen Refraichisseur. Ah hier. Tritt zu Paula und bespritzt sie mit dem Refraichisseur.

PAULA immer mit festgeschlossenen Augen, glaubt, daß sie mit Neumeister spräche, gibt schwache Lebenszeichen, leise stöhnend. Ach das tut wohl, – ich danke dir – noch mehr!

STERNECK weiter spritzend, beiseite. Wie schön sie ist.

PAULA wie oben. Wasser, spritze mir ein wenig Wasser auf die Stirn.

STERNECK suchend. Um Gotteswillen, wo ist denn Wasser? Findet es. Gott sei Dank. Befeuchtet aus der Karaffe sein Taschentuch und netzt Paula die Stirn.

PAULA. Wie gut du bist – bitte, auch ein wenig auf die Schläfen. Sterneck tut es. So, so! Ach, das tut wohl.

STERNECK der bis jetzt geflüstert hat, plötzlich ganz laut. Fühlen Sie sich schon besser, mein Fräulein?[49]

PAULA beim Ton seiner Stimme die Augen öffnend, aufspringend, erschrocken ausrufend. Ach du lieber Gott – ein Fremder?

STERNECK. Verzeihen Sie, mein Fräulein, wenn ich Sie erschreckt habe, aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen zu Hilfe zu kommen.

PAULA verlegen. Ich danke Ihnen auch sehr – aber ich glaubte – mein Schwager – –

STERNECK. Ich schätze mich glücklich, gerade so im rechten Augenblick gekommen zu sein, umsomehr, da meine ärztlichen Kenntnisse –

PAULA. Sie sind Arzt?

STERNECK. Nein, mein Fräulein, aber ich habe ein paar Semester gleichzeitig mit meinem Freunde Neumeister Medizin studiert, – ich heiße Emil Groß.

PAULA. Doktor Neumeister – ist mein Schwager.

STERNECK. Dann habe ich wohl die Ehre mit Fräulein Gollwitz, der Tochter des Professors –

PAULA. Ja, bitte, erzählen Sie dem Papa nichts von meiner Ohnmacht.

STERNECK. Bewahre, Fräulein, ich habe natürlich sofort gemerkt, daß Sie sich nur mit irgend jemand im Hause einen kleinen Scherz machen wollten.

PAULA. Wie?

STERNECK. Nun, die Ohnmacht vorhin war wohl nicht ernst gemeint?[50]

PAULA. Erlauben Sie, das war sehr ernst, ich habe diese Anfälle jetzt alle Tage.

STERNECK beiseite. Die lügt recht geläufig!

PAULA. Bitte, fühlen Sie meinen Puls; wenn Sie etwas davon verstehen, müssen Sie doch erkennen, daß ich Fieber habe.

STERNECK fühlt den Puls. Gewiß, mein Fräulein, sogar sehr stark. Beiseite. Keine Spur!

PAULA. Nun also!

STERNECK. Ja, ja, Fräulein, jetzt ist mir auch Ihr ganzer Zustand klar. Bevor die Anfälle kommen, haben Sie ein Sausen und Brausen in den Ohren, Flimmern vor den Augen, Hämmern im Kopf, nervöses Zucken in den Händen, dabei der eine Fuß eiskalt und der andere siedendheiß. Nicht wahr?

PAULA. Ganz richtig. Das stimmt alles ganz genau. Und was raten Sie mir?

STERNECK. Aufrichtig?

PAULA. Ganz aufrichtig – ich bin auf alles gefaßt.

STERNECK. Nun denn, mein Fräulein, ich rate Ihnen, sich eine andere Krankheit auszudenken.

PAULA entrüstet. Wie?

STERNECK. Sie müssen etwas mehr Sorgfalt auf die Erfindung der Symptome verwenden.

PAULA immer entrüsteter. Ah![51]

STERNECK. Ein Zustand, wie Sie ihn mir soeben geschildert haben, existiert überhaupt nicht oder wenigstens nur im Reiche der Phantasie.

PAULA patzig. Ach, verehrter Herr, Sie haben eben nicht zu Ende studiert! Bis zu meiner Krankheit sind Sie gar nicht gekommen.

STERNECK lustig. Das wäre eine Möglichkeit. Und schon deshalb tut es mir leid, daß ich vom Lehrsaal auf die Bühne dersertiert bin.

PAULA interessiert. Sie sind Schauspieler.

STERNECK. Das heißt, ich habe es mir eine Zeitlang eingebildet. Aber es war eine Täuschung. – Ich gebe es auf. Meine letzte Rolle wird wohl der »Markus« in dem Stück Ihres Herrn Papa sein.

PAULA überrascht. Was, Papa hat ein Stück geschrieben?

STERNECK beiseite. Alle Wetter!

PAULA. Und läßt es hier aufhören?

STERNECK beiseite. Oh weh, das hätte ich nicht verraten sollen.

PAULA. So sprechen Sie doch; – das interessiert mich sehr!

STERNECK. Nein, mein Fräulein, – entschuldigen Sie – es war ein Mißverständnis, – ich habe mich versprochen.

PAULA beiseite. Ach so – ich soll nichts davon wissen.[52]

STERNECK. Das Stück ist nicht von Ihrem Papa. – Wie käme der Herr Professor dazu – es ist nämlich eigentlich – –

PAULA. Ich weiß schon. Beiseite. Na warte! Laut. Sie meinen das alte Theaterstück, welches Papa in der fürstlichen Bibliothek gefunden hat?

STERNECK. Natürlich, das meine ich.

PAULA. In dem es sich um die Christenverfolgung handelt – unter Numa Pompilius.

STERNECK. Dasselbe. – Aber sagen Sie Ihrem Herrn Papa nichts.

PAULA. Nein. Aber Sie müssen mir auch etwas versprechen.

STERNECK. Nun?

PAULA boshaft. Wenn Sie wieder einmal einer »Professorstochter« etwas vorlügen wollen, verwenden Sie ein bißchen mehr Sorgfalt auf die Zusammenstellung der Jahreszahlen. Denken Sie doch nur. – Christenverfolgung und – Numa Pompilius, der schon 700 Jahre vor Christi Geburt gestorben ist.

STERNECK. Entsetzlich!

PAULA. Grämen Sie sich nicht, jetzt sind wir quitt.

STERNECK. Das heißt, Fräulein, Sie bekommen eigentlich noch etwas heraus. Sich vor den Kopf schlagend. 700 Jahre!

PAULA ironisch. Ja, ja, das kommt davon, wenn man nicht ausstudiert hat.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 49-53.
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