10. Auftritt.

[98] Vorige. Groß.


MARIANNE die Tür öffnend. Ein Fremder? Was wünschen Sie, mein Herr? Kommt mit Groß ins Zimmer.

GROSS. Entschuldigen Sie, meine Damen, ich suche den Professor Gollwitz.

FRIEDERIKE. Bedaure, mein Mann ist nicht zugegen.

GROSS. Das tut mir leid. Ich bin nämlich der Karl Groß aus Berlin.

FRIEDERIKE ohne Groß anzuhören. Freut mich.

GROSS. Ihr Herr Gemahl wird Ihnen wohl schon viel von mir erzählt haben.

FRIEDERIKE abweisend. Mein Mann erzählt mir nie etwas. Ich erfahre alles nur durch Zufall.

GROSS beiseite. Eine eigentümliche Frau, die hat mir der Professor ganz anders geschildert. Laut. Eigentlich wollte ich mit Ihrem Herrn Schwiegersohn sprechen, mit dem Doktor Neumeister.

MARIANNE. Mit meinem Mann?

GROSS. Ach so, das ist Ihr Herr Gemahl? Ich war eben in Ihrer Wohnung, und da hat man mir gesagt, er wäre hier.

MARIANNE. Bedaure, er ist weggegangen.

GROSS. Das ist mir unangenehm.[99]

MARIANNE gereizt. Denken Sie vielleicht, mir ist es angenehm? Uebrigens – wenn Sie krank sind – Sprechstunde ist von fünf bis sechs – jetzt ist es acht Uhr.

GROSS beiseite. Scheint mir auch ein bißchen aufgeregt – hat sie wahrscheinlich von der Mutter. Laut. Verzeihen Sie, meine Damen, ich habe nicht viel Zeit, ich werde die Herren aufsuchen. Wo treffe ich sie denn?

FRIEDERIKE gereizt. Das wissen wir nicht.

GROSS. So! Und wann kommen Sie denn wieder?

MARIANNE ebenso. Das wissen wir auch nicht.

GROSS beiseite. Eine merkwürdige Familie. Laut. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als hier zu warten. Gemütlich. Ich störe Sie doch nicht?

FRIEDERIKE verzweifelt. Aber was wünschen Sie denn eigentlich?

GROSS. Es handelt sich um meinen ungeratenen Sohn, den Emil. Der Professor hat Ihnen gewiß von ihm erzählt?

FRIEDERIKE. Keine Silbe.

GROSS zu Marianne. Aber Sie, Frau Doktor, kennen doch die Geschichte?

MARIANNE. Bedaure sehr!

GROSS. Das ist mir unbegreiflich. Ihr Herr Gemahl hat mir doch über den Schlingel, den Emil, einen vier Seiten langen Brief geschrieben. Vorgestern habe ich den Brief[100] bekommen, heute bin ich hier, um mit meinem Jungen selbst zu sprechen.

FRIEDERIKE ungeduldig. So, so. Sieht aus dem Fenster.

GROSS zu Marianne. Mein Emil hat nämlich die unglaublichsten Streiche gemacht. Seit zwei Jahren hat er keine Silbe von sich hören lassen, und jetzt schreibt mir Ihr Mann, daß er sich hier in der Stadt als Schauspieler aufhalten soll.

MARIANNE ungeduldig. So, so. Horcht zur Mitteltür hinaus.

GROSS zu Friederike. Aber ich habe es gewußt, daß es so kommen muß – denken Sie sich, schon als Student hat er in Leipzig eine Liebschaft angefangen mit einer Schauspielerin.

FRIEDERIKE plötzlich interessiert. Wie?

GROSS. Natürlich, Schulden gemacht und schließlich durchgebrannt.

MARIANNE. Mama! Mit keimendem Verdacht. Das ist ja merkwürdig.

GROSS zwischen beiden Frauen stehend, die Mappe aus dem zweiten Akt aus der Rocktasche nehmend. Merkwürdig? Unverantwortlich ist es. Da sehen Sie her, in dieser Mappe – –

MARIANNE aufschreiend. Allmächtiger Gott, die Mappe!

FRIEDERIKE. Herr, wie kommen Sie zu dieser Mappe?

GROSS. Die gehört meinem Sohn, er hat sie mir schicken lassen durch Ihren Mann.

[101] FRIEDERIKE entsetzt. Ah!

MARIANNE. Ist es denn möglich!

GROSS. Da sind die Belege zu der sauberen Geschichte. Oeffnet die Mappe und nimmt die Gegenstände der Reihe nach heraus. Hier ist die Geliebte meines Sohnes. Legt das Bild auf den Tisch. – Hier ist ihre Locke, ihr Ring und da sind die Rechnungen, die ich vorgestern bezahlt habe, fünfhundert Mark.

MARIANNE. Ach, das ist zuviel. Sinkt in einen Sessel.

GROSS. Nicht wahr?

FRIEDERIKE. Und ich habe ihm das Geld gegeben.

MARIANNE. Mir hat er einen Roman vorgelogen, den ein anderer erlebt hat.

GROSS die beiden Frauen erstaunt ansehend. Was denn? Wer denn?

FRIEDERIKE. Aber ich habe doch mit dem Onkel dieses Mädchens Auf die Photographie zeigend. gesprochen.

GROSS. Bewahre, die hat nie einen Onkel gehabt. Legt die Gegenstände in die Mappe zurück, steckt sie ein.

MARIANNE. Also auch das war gelogen!

FRIEDERIKE. Mich lächerlich zu machen vor einem Fremden![102]

GROSS sieht Friederike und Marianne verständnislos an, nimmt seinen Hut und Stock. – Beiseite. Jetzt werden mir die beiden unheimlich. Aengstlich nach der Mitteltür retirierend. Entschuldigen Sie nur, meine Damen; wenn ich gewußt hätte, daß die Geschichte meines ungeratenen Emils Sie so aufregt, hätte ich sie Ihnen gar nicht erzählt.

FRIEDERIKE wütend. Ach, was geht uns Ihr Emil an!

MARIANNE. Es handelt sich um meinen Leopold.

GROSS versteht Marianne nicht. Mein Leopold? Aengstlich sich nach dem Kopf fassend. Jetzt muß ich an die frische Luft, sonst verliere ich die Besinnung. Das ist ja eine tolle Familie. Ab.

MARIANNE entschlossen aufspringend. Mama, vor allen Dingen lasse ich mich jetzt von Leopold scheiden.

FRIEDERIKE. Recht hast du, mein Kind. Drohend. Aber vorher soll er mir noch Rede stehen. Es klingelt.


Es klingelt.


MARIANNE aufschreiend. Da ist er! Stürzt zur Mitteltür und öffnet sie.

FRIEDERIKE drohend. Der kommt mir zurecht!


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 98-103.
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