9. Auftritt.

[90] Vorige. Friederike. Marianne.


FRIEDERIKE mit Marianne von links vorn. Nun, Martin, hat dir unser lieber Leopold schon alles erzählt?

GOLLWITZ zerstreut. Ja, ja, leider.

FRIEDERIKE. Nein, Martin, zürne ihm nicht mehr. Es ist richtig, seine Vergangenheit war stürmisch bewegt, aber er hat uns alles ehrlich eingestanden und aufrichtig bereut. Wir haben ihm von ganzen Herzen verziehen. Nicht wahr, Marianne?

MARIANNE umarmt Neumeister. Mein guter Mann!

NEUMEISTER. Marianne!

FRIEDERIKE. Und von jetzt ab, Leopold, keine Heimlichkeiten mehr.

NEUMEISTER Friederike umarmend. Nie wieder, das verspreche ich!

FRIEDERIKE zu Gollwitz. Und du versprichst es mir auch? Keine Unwahrheiten, keine Geheimnisse mehr zwischen uns. Nicht wahr, lieber Martin? Umarmt Gollwitz.

GOLLWITZ zerstreut. Gewiß, gewiß.

FRIEDERIKE. Kinder, das ist heute für uns ein schöner Abend.

NEUMEISTER UND GOLLWITZ seufzend. Ach ja![91]

FRIEDERIKE. Den wollen wir aber auch recht gemütlich miteinander verleben.

GOLLWITZ sieht nach der Uhr. Liebe Friederike, ich wollte aber mit Leopold in die Ressource. Der Konsistorialrat Hoffmann ist nämlich aus Berlin gekommen.

FRIEDERIKE. Den kannst du morgen auch noch sprechen.

GOLLWITZ. Morgen?

NEUMEISTER. Das heißt –

FRIEDERIKE abwehrend. Nein, nein, nein, Ihr bleibt hier! Wir lassen uns unsere schöne Familienfeier nicht stören.

PAULA die bisher ungeduldig aus dem Fenster geblickt hat, laut seufzend. Ach Gott, das wird schrecklich langweilig werden.

FRIEDERIKE. Was sagst du?

MARIANNE. Aber Paula!

PAULA. Nun ja, mir ist es eben langweilig. Leise zu Gollwitz. Jetzt mußt du wütend werden.

NEUMEISTER leise zu Gollwitz. Vorwärts, vorwärts.

FRIEDERIKE. Martin, was sagst du denn dazu?[92]

GOLLWITZ. Ja – allerdings, Paula, ich begreife dich nicht.

PAULA leise. Weiter, weiter.

GOLLWITZ. Du benimmst dich in einer Weise –

PAULA. Ich weiß nicht, was du heute mit mir hast. Vorhin frage ich dich ganz arglos, ob es wahr ist, daß die Indier am Polterabend ihre Schwiegermütter verbrennen, und da fährst du mich gleich an und willst mich auf mein Zimmer schicken. Aber ich bin kein Kind mehr, das lasse ich mir nicht gefallen.


Gleichzeitig.


NEUMEISTER leise zu Gollwitz. Jetzt gib es ihr tüchtig.

FRIEDERIKE. Aber Paula!

GOLLWITZ mit gespieltem Zorn. So? Du willst dir etwas nicht gefallen lassen? Jetzt gehst du augenblicklich auf dein Zimmer und läßt dich den ganzen Abend nicht mehr blicken, und daß niemand von Euch zu ihr hineingeht.

FRIEDERIKE. Aber Martin!

MARIANNE. Papa!

GOLLWITZ. Marsch, vorwärts – auf dein Zimmer!

PAULA weinend. Nein, diese Behandlung hier in dem Haus. Ab links hinten.

MARIANNE. Die arme Paula![93]

GOLLWITZ immer wütender. Willst du mir auch noch dreinreden? Das fehlte mir gerade.

NEUMEISTER dazwischentretend, mit gespieltem Zorn. Halt, Schwiegerpapa, jetzt habe ich genug. – Wie du es mit Paula hältst, geht mich nichts an. Aber wenn du meine Frau beleidigen willst, das wird mir zu viel.

GOLLWITZ. Du unterstehst dich –?

FRIEDERIKE begütigend. Aber Martin!

GOLLWITZ. Was? Und du auch noch? Ihr seid also alle gegen mich verschworen? Und gerade heute, wo ich mich so auf den gemütlichen Familienabend gefreut habe, treibt Ihr mich mit Gewalt zum Hause hinaus? Gut. Ihr sollt Euren Willen haben. Ich gehe! Rasch ab durch die Mitte.

FRIEDERIKE. Kinder, was sagt Ihr dazu?

MARIANNE jammernd. Entsetzlich!

NEUMEISTER mit gespielter Bestürzung. Mama! Frau! Soll ich ihn so fortgehen lassen? – In dieser Aufregung? Wer weiß, was ihm zustoßen kann.

MARIANNE. Leopold!

FRIEDERIKE. Laufen Sie ihm nach. Schnell, schnell.

NEUMEISTER. Ich fliege! Schnell ab durch die Mitte.[94]

FRIEDERIKE jammernd auf- und abgehend. Nein, diese Männer, diese Männer!

MARIANNE. Das heißt, der Papa. Denn wie gutherzig mein Mann ist, das hast du ja gesehen, er läuft ihm nach, und dabei ist doch eigentlich er der Beleidigte.

FRIEDERIKE. Dein Mann hätte sich überhaupt nicht dreinmischen sollen, dann wäre es gar nicht soweit gekommen.

MARIANNE weinerlich. Das ist nicht recht, Mama. – Leopold ist der beste und edelste Mensch.

FRIEDERIKE. So? Und seine leichtsinnigen Streiche in Leipzig? Die Geschichte mit der Schauspielerin und den unbezahlten Rechnungen?

MARIANNE. Das hast du ihm selbst alles längst verziehen. Du wolltest überhaupt gar nicht mehr darüber sprechen – und jetzt fängst du doch wieder an. Das hätte ich nicht von dir erwartet.

FRIEDERIKE. Laß mich zufrieden, ich will gar nichts mehr hören. Setzt sich hin und strickt wütend.

MARIANNE. Ich auch nicht. Setzt sich, nimmt die »Fliegenden Blätter« und liest. – Kleine Pause. – Schreit auf. Ach, das ist ja unerhört!

FRIEDERIKE. Was hast du denn?

MARIANNE. Mama, wir sind betrogen, sie machen sich über uns lustig, Papa und mein Mann.

FRIEDERIKE. Aber Kind, so sprich doch –[95]

MARIANNE. Sie haben uns einfach zum Besten gehalten mit einem Witz aus den »Fliegenden Blättern«. Da höre nur. Liest. »Wenn Herr Schlaumeier des Abends ohne seine Frau ausgehen will, hat er mit seinem Onkel folgende List verabredet: Auf ein gegebenes Zeichen behauptet der Onkel plötzlich, daß die Indier am Polterabend ihre Schwiegermütter verbrennen –«

FRIEDERIKE entsetzt. Marianne!

MARIANNE weiter lesend. »Hierüber entspinnt sich nun zwischen den beiden Herren ein lebhafter Streit, in dessen Verlauf Herr Schlaumeier scheinbar so wütend wird, daß er schließlich nach seinem Hute greift und davonläuft.« – Was sagst du dazu?

FRIEDERIKE. Oh, es ist empörend. Sie haben uns also eine unwürdige Komödie vorgespielt.

MARIANNE. Natürlich. Denke doch nur, wie Papa plötzlich ohne allen Grund auf Paula losgefahren ist.

FRIEDERIKE. Richtig! Und dann hat er das gute, unschuldige Kind aus dem Zimmer gewiesen.

MARIANNE. Meine arme, arglose Schwester.

FRIEDERIKE öffnet die Tür links hinten und macht einen Schritt ins Zimmer. Paula, liebes Kind, komm heraus!

MARIANNE geht auch zur Tür und ruft hinein. Wir wissen alles.

FRIEDERIKE aus Paulas Zimmer mit einem Schrei herausstürzend. Marianne! – Es ist niemand im Zimmer Sie ist fort.[96]

MARIANNE an Friederike vorüber ins Zimmer stürzend. Was sagst du, Mama?

FRIEDERIKE. Hut und Mantel sind auch weg.

MARIANNE aus Paulas Zimmer. Die Tür zur Hintertreppe ist offen. Sie ist fortgelaufen.

FRIEDERIKE mit einem plötzlichen Schrei. Ach, was fällt mir da ein.

MARIANNE. Nun?

FRIEDERIKE. Paula ist mit im Komplott!

MARIANNE. Richtig! Sie war es ja, die von den indischen Schwiegermüttern zu sprechen anfing.

FRIEDERIKE. Oh, dieses ungeratene Kind!

MARIANNE. Mein pflichtvergessener Mann!

FRIEDERIKE. Dieser gewissenlose Vater!

MARIANNE. Und dabei hat mir Leopold noch erst vor zehn Minuten hier auf dieser Stelle feierlich versprochen, nie wieder eine Unwahrheit zu sagen.

FRIEDERIKE. Und mein Mann hat mir geschworen, hier an dieser Stelle –

MARIANNE. Mama, das bricht mir das Herz.[97]

FRIEDERIKE. Du armes Kind, für dein ganzes Leben nun gefesselt an einen Mann, der dich auf das niedrigste betrügt, du bist am meisten zu bedauern.

MARIANNE. Nein, nein, Mama, du bist noch viel mehr zu bedauern; nach langjähriger Ehe noch solche Erfahrungen zu machen. – Meine arme Mama! Umarmt Friederike weinend.

FRIEDERIKE. Meine arme Marianne!


Man hört Klingeln.


MARIANNE. Es klingelt.

FRIEDERIKE. Ach! Sie kommen wieder.

MARIANNE drohend. Mama, wir wollen sie empfangen.


Es klingelt wieder.


FRIEDERIKE. Warum macht denn Rosa nicht auf?

MARIANNE ist zur Mitteltür gelaufen, ruft hinaus. Rosa! Rosa! Sich umwendend. Die ist auch nicht hier.

FRIEDERIKE die Hände ringend. Ist denn das ganze Haus davongelaufen?


Es klingelt wieder.


MARIANNE. Ich mache selbst auf. Oeffnet bie Mitteltür.

FRIEDERIKE. An den Abend werde ich denken.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 90-98.
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