1. Auftritt.

[113] Gollwitz. Dann Rosa. Striese.


GOLLWITZ sitzt am Schreibtisch in derselben Fracktoilette, wie am Schluß des dritten Aktes, die weiße Krawatte gelöst, mit wirrem Haar, übernächtig abgespannt, hat geschrieben und legt die Feder weg. So, das wäre erledigt. Und jetzt könnte ich abreisen; hoffentlich wird mir der Urlaub bewilligt. Es klopft, er springt auf. Es klopft? Sollte vielleicht meine Frau? Geht zur Mitteltür und spricht durch die geschlossene Tür. Riekchen, bist du es?

ROSA hinter der geschlossenen Tür. Nein, Herr Professor, ich bin es, machen Sie doch auf.

GOLLWITZ schließt die Tür auf und läßt Rosa eintreten. Was willst du denn?

ROSA mit einem Tablett, auf dem ein Teekessel mit Spirituslampe, ein Brotkorb, Zuckerbüchse etc. steht, eintretend. Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück, Herr Professor. Setzt das Tablett auf den Tisch vorn und steckt die Spirituslampe an.

GOLLWITZ. Ich danke! Ich frühstücke nicht.[113]

ROSA. Aber das geht nicht, das kann ich ja gar nicht verantworten. Sie werden am Ende noch krank. Sehen Sie nur in den Spiegel, wie Sie aussehen, ganz übernächtig. Und nun wollen Sie nicht einmal etwas Warmes zu sich nehmen. Trinken Sie wenigstens eine Tasse Tee.

STRIESE den Kopf durch die Alkovengardine hereinsteckend. Dürfte ich vielleicht bei der Gelegenheit auch um ein Täßchen bitten?

ROSA erschrocken. Ach, du lieber Gott, wer ist denn das?

STRIESE öffnet die Gardine und kommt in den Vordergrund, er trägt ein schwarzes Beinkleid und einen schwarzen hochgeschlossenen Rock. Nun, nun, erschrecken Sie nicht. Ich bin es ja nur, der Striese.

ROSA. Herr Direktor, was machen Sie denn da?

STRIESE. Ich habe dahinten auf dem Sofa übernachtet, und dann war der Herr Professor so gütig, mir mit seiner Garderobe ein bißchen auszuhelfen. Ich habe mich ja gestern abend, weiß Gott, gar nicht mehr zu meiner Frau nach Hause getraut, nach dieser entsetzlichen Blamage.

ROSA. Und Sie, Herr Professor, haben wohl auch nicht geschlafen? Richtig, Sie haben noch den Frack von gestern an.

GOLLWITZ. Ich habe die Nacht im Lehnstuhl verbracht.

ROSA. Du himmlische Güte! Das ist doch zu schrecklich! Und da wollen Sie nicht einmal frühstücken?[114]

GOLLWITZ. Wenn ich dir sage, daß ich nichts nehmen kann, mir ist die Kehle wie zugeschnürt.

STRIESE. Nu, dann erlauben Sie, daß ich so frei bin zuzugreifen; mir ist, weiß Gott, ganz elend vor lauter Hunger. Ich möchte mich ein bißchen stärken für das erste Zusammentreffen mit meiner Frau. Schenkt sich während der folgenden Szene wiederholt Tee aus der Kanne ein, ißt und trinkt eifrig.

GOLLWITZ beiseite. An meine Frau darf ich gar nicht denken. Wenn ich nur wüßte, ob – Nimmt Rosa beiseite. Rosa, hat dir meine Frau keinen Auftrag gegeben?

ROSA. Ach Gott, die Madame ist ja so wütend. – Gestern abend, wie der Herr Professor mit dem Direktor aus dem Zimmer draußen waren – dann ist es erst über uns hergegangen, – zuerst über Fräulein Paula und dann über mich. Behandelt hat mich die gnädige Frau, gerade als ob ich das Stück geschrieben hätte. – Und ich kann doch wahrhaftig nicht dafür, daß es so miserabel ist. Ich habe freilich beim Vorlesen immer schon meine Bedenken gehabt. Denn sehen Sie, Herr Professor, ich bin gewiß fürs Traurige im Theater, aber das Stück, habe ich mir gedacht, das ist doch zu traurig. Besonders gegen das Ende zu, wo einem dann so einer nach dem andern unter den Händen wegstirbt. Das ist ja der reine Jammer.

STRIESE. Weil Sie das nicht verstehen, meine liebe Rosa. Ich bin ein alter Theaterhase, und ich sage Ihnen, je mehr die Leute im Theater weinen können, desto lieber ist es ihnen. Wenn nur gestern der Malefiz-Papagei nicht dazwischen gesprochen hätte. Sie werden sehen, wenn wir das Stück zum zweiten Male geben –

GOLLWITZ. Mensch! Sie denken doch nicht daran, daß ich das Stück jemals wieder aufführen lassen werde?[115]

STRIESE. Aber –

GOLLWITZ. Das Manuskript wird verbrannt und damit ist die Geschichte aus. Hoffentlich erfährt niemand in der Stadt, daß ich der Verfasser bin, denn sonst –

STRIESE. Was das anbelangt, da können Sie ganz ruhig sein. Von mir und meiner Frau ist nichts herauszukriegen.

GOLLWITZ. Ich verlasse mich darauf. Und überdies reise ich noch heute ab, wenn ich den Urlaub bekomme, um den ich gebeten habe. Ich will über die Geschichte hier erst Gras wachsen lassen.

STRIESE. Aber, verehrtester Herr Professor.

GOLLWITZ. Lassen Sie mich, es bleibt dabei. Ich packe meine Sachen. Rosa, bringe mir meinen Lederkoffer vom Boden. Ab rechts.

ROSA jammernd. Es war immer so ein seelensguter Herr Wischt sich die Augen. und nun muß ihm auf seine alten Tage noch so etwas passieren.

STRIESE hat inzwischen zwei bis drei Tassen Tee getrunken – schiebt jetzt Tasse von sich weg. Ich weiß gar nicht, Rosa, was das ist, aber je mehr ich von dem Zeug trinke, desto schlappriger wird mir im Magen.

ROSA. Ja, es ist aber doch – – Bemerkt plötzlich, daß die Teeblätter noch auf einem kleinen Schüsselchen liegen, da sie vergessen hat, sie in den Teekessel zu werfen, erschrickt und schreit laut auf. Ach, du barmherziger Himmel!

STRIESE sehr erschrocken, aufspringend. Herrjeses, was haben Sie denn?[116]

ROSA hebt mit einer Hand den Deckel vom Kessel, zeigt mit der andern in den Kessel hinein, ängstlich. Um Gottes willen, Herr Direktor, haben Sie denn das getrunken?

STRIESE zitternd, lallend. Nu freilich: drei Tassen voll!

ROSA schreit auf und sinkt auf einen Stuhl. Ach, Sie Aermster!

STRIESE. Was ist damit, Rosa? Es wird doch nicht vielleicht Gift –?

ROSA jammernd. Nein, nein, aber da liegt ja noch der Tee! Es war ja noch gar nichts drin! Die Hände zusammenschlagend. Sie haben den ganzen Kessel voll heißem Wasser ausgetrunken.

STRIESE. Na, hören Sie, da können Sie von Glück sagen. Ich bin Gott sei Dank im Essen und Trinken nicht so wählerisch, aber wenn das einem Feinschmecker passiert, der wird unangenehm.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 113-117.
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