§. 17. [367] Dr. Simrocks Mahnwort.

»Dem Gefühle der Heiden ruhte die Welt auf sittlichem Grunde und würde dieser hinweggezogen, so sahen sie das ganze Gebäude zusammenstürzen. Nüchterner klingt es, aber wie gleichbedeutend ist es doch, wenn wir sagen, daß die Kirche die Grundlage des Staates bilde, ohne Religion kein Staat, ja keine Gemeinde bestehen möge. Diese Lehre gibt und unsere Mythologie: wie wenig also versteht der Staat seinen Vortheil, der die griechische Mythologie so sehr von der deutschen begünstigt, und wie wenig verstehen ihn die unfrommen Frommen, die nicht ablassen, unser Heidenthum als gottlos und heillos zu verschreien. Das hatte einen Sinn vor dem Siege des Christenthums über den heidnischen Gottesdienst mit seinen Menschenopfern und über die Blutrache, die das Herz der germanischen Sitte bildete, jene grausame Blutrache, die bis zum jüngsten Tage fortrasen müste, denn Blut fordert immer wieder Blut und kein Ende des Kampfes ist abzusehen, wie dieß die Sage von Hilde, die jede Nacht die Erschlagenen weckt, daß sie am Morgen den Kampf von Neuem beginnen, schaurig schön ausdrückt. Eine Lehre, die solche Pflichten vorschrieb, muste vom Christenthum überwunden werden, und es half ihr nicht, daß sie die höchsten Ideen enthielt, deren der Heide fähig war, die tiefsinnigsten, bewunderungswürdigsten und inhaltreichsten Anschauungen über das Wesen der Welt und der Götter. Denn Einer[368] Idee war der Heide nicht fähig: der sittlichen Idee, daß man die Feinde lieben solle. Diese Idee hat das Heidentum überwältigt, und ein neues Weltreich, die Welt der christlichen Bildung heraufgeführt, und gäbe es jetzt noch alte deutsche Heiden, dieser Idee müsten sie sich beugen, denn sie hätten ihr nichts entgegenzusetzen. Allein wir haben es jetzt mit modernen Heiden zu schaffen, die keinen Himmel voller Götter haben, aber wie sie kein Jenseits kennen, das Diesseits mit Teufeln erfüllen würden. Diesen gegenüber erscheinen die alten deutschen Heiden sittlich, fromm und gläubig, das alte Heidenthum hehr und heilig, eine würdige Vorhalle des Christenthums. Das sollte man erwägen, ehe man die Waffen nach der Seite kehrt, von welcher der mächtigste Beystand zu holen ist. Daß selbst gute Christen unser Heidenthum verschreien, heißt es in dem Briefe eines Freundes, begreife ich am Wenigsten und kann es nur durch die leider noch zu große Unwissenheit entschuldigen, worin sie in Bezug auf unser Alterthum leben. Wenn wir mit der Kirche auch im alten Bunde eine Tradition annehmen, wenn wir Voroffenbarungen des christlichen Glaubens und der christlichen Lehre behaupten, die im Judenthum sich finden, im Heidenthum nicht verloren gingen, wenigstens nicht ganz, dann müßen wir gerade in unserem Heidenthum eins der mächtigsten und gewaltigsten Zeugnisse für die Kirche sehen. Wollte nur einmal Einer der Herren sich die Mühe geben, einen tieferen Blick in den wunderbaren Geist unserer Vorzeit zu thun! Und hätten unsere Studien nur das Eine[369] vollbracht, daß sie die Ehre der Tradition so glänzend retteten, ich meine, das müste genügen, ihnen Dank und Schutz gerade von dieser Seite zuzuwenden.

Jedes Jahrhundert knüpfte an die Wiederkehr des als Kaiser verjüngten Gottes seine eigenthümlichen Erwartungen. Im Mittelalter sollte die Wiedergewinnung des heil. Grabes erfolgen und der heidnische Glaube ganz vergehen; schon vor dem Zeitalter der Reformation erwartete man, er werde die ›paffen storen‹ den Uebermuth der Geistlichkeit beugen, und neuerdings pflegen die Gegner der christlichen Geistlichkeit, die oft genug Feinde des Christenthums überhaupt sind, die um den Berg fliegenden Raben auf die ›Schwarzröcke‹ zu deuten. Unsern modernen Heiden bricht die goldne Zeit nicht an, bis die Kirche gestürzt wird und mit ihr, wie sie wohl ahnen, auch der Staat zusammenbricht, dessen Grundlage sie ist; das Ende der Welt, des sittlich geordneten Lebens der Menschen auf Erden wäre damit freilich gekommen; die goldene Zeit aber kann erst anheben, wenn die zerstörenden Mächte, auf deren Seite sie sich stellen, von den Göttern besiegt oder von Surturs Lohe verzehrt sind. Sie könnten einwenden, auch die Götter müsten in seinen Flammen untergehen: dem ist also; aber nur um von allen irdischen Gebrechen geläutert als Herrscher der neuen Zeit wiedergeboren zu werden, während jene Ungethüme keine Zukunft haben. Wollten sie echte Heiden seyn, wofür sie sich so gerne ausgeben, so stellten sie sich auf die Seite der Götter und hülfen ihnen den Kampf gegen die verderblichen[370] Gewalten auskämpfen. Aber wie könnten sie das wollen, da sie diesen verderblichen Gewalten selber anheim gefallen sind und in ihnen am Stärksten die Glaubenslosigkeit, die Unsittlichkeit, die Selbstsucht der Zeit zur Erscheinung kommt. So nähren sie die Hoffnung der unmündigen abergläubischen Menge auf den kommenden Tag der Erlösung, welcher kein anderer ist als der jüngste Tag; aber vergebens leben sie dahin auf den alten Kaiser hinein und lehren ihre Gläubigen auf den alten Kaiser hinein stehlen, d.h. nach der alten Redensart auf die ungewisse künftige Veränderung aller gegenwärtigen Dinge hoffen und sündigen: dem Kaiser will der Bart nicht wachsen, weil ihn ihre Flüche und Lästerungen versengen, und wüchse er wirklich zum drittenmal um den Tisch herum, so wären sie die ersten, gegen welche er seine Waffen zu kehren hätte. Die Gebrechen der Welt und der Zeit, welche sie zum Vorwande nehmen, können erst in der künftigen Welt gänzlich getilgt werden; über die gegenwärtige, so vielfacher Läuterung sie bedürftig sey, das Feuer zu schleudern, ist Niemand berufen als Wer die Rolle des Teufels übernehmen will, der an der Seite des Antichrists kämpft.« So in Simrocks deutscher Mythologie.

Hiemit hat mein Buch ein Ende.[371]

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 3, Augsburg 1857/58/59, S. 367-372.
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