§. 3. Harmlosigkeit.

[9] Dieser Uneinigkeit nach Innen reiht sich nach dem westphälischen Frieden die Eigenschaft der Harmlosigkeit zur Seite. Als der letzte Kaiser des heiligen Römischen[9] Reiches Deutscher Nation seine tausendjährige Krone niederlegte, war der Deutsche Aar schon zur Henne geworden; er hatte die Schwungfedern verloren, die scharfen Krallen der Klauen waren zugeschnitten, der kräftige Hacken seines krummen Schnabels war sorgfältig abgefeilt. In diesem Zustande ist er denn förmlich gerupft worden. Die Deutschen Ostseeprovinzen sind russisch, der kleine Däne hat Deutsche Herzogthümer in seiner Gewalt; England sitzt auf Helgoland und wirkt in Hannover; Holland hat sich losgerissen und das Spanisch-Deutsche Brabant durch Deutsche Diplomaten dazu erhalten, wenn gleich bald darauf durch Eigensinn wieder verloren; Frankreich ist im Besitze der schönsten Deutschen Länder mit Elsaß und Lothringen; die Schweiz frey; nur die Ostmark Deutschen Landes hat sich unverkürzt erhalten und Schweden seine Vorposten auf Deutschem Boden an Preußen abgegeben.

Wohl hat das deutsche Volk im Jahre 1848 einen Anlauf genommen sich zu erheben, aber der Bär ist grob und plump darein getreten und bald wieder zur Ruhe gekommen. Der Deutsche ist seiner Natur nach Freund der Ordnung und rechtlichen Bestandes. Doch hat diese Bewegung die Regierungen überrascht und sie gaben nun mehr oder minder genöthigt was schon längere Zeit her gewünscht wurde und früher mit Dank und vermehrter Liebe wäre empfangen worden. Die Gegenwart schreitet mit Dampfkraft. Jahrzehnte sind wie sonst Jahrhunderte. Dieses schnelle Vorübereilen der Zeit fordert zu großer Umsicht, zeitgemäßem Reorganisiren und verdoppelter[10] Energie auf. Die Verantwortung derer, die auf der Warte stehen, ist daher eine vergrößerte: möchten sie eingreifen, wo es am Orte und so lange es an der Zeit ist und mit Dank geschehen kann. Der Grundsatz: Zeit gewonnen, Alles gewonnen – scheint an praktischem Werthe verloren zu haben, wo das Zeitmaß ein anderes ist und die Ereignisse im raschen Wechsel nicht des Zuwartenden harren. Zu sehr gesteigerte Centralisation, sowohl im Ganzen, wie in den Theilen, ist gegen den Grundcharakter Deutschen Wesens, welches neben der Einheit auch die Vielheit als berechtiget erkennt und bringt doppelte Gefahr in einem Bundesstaate.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 9-11.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aus der Oberpfalz
Aus der Oberpfalz: Sitten und Sagen
Das Schönwerth-Lesebuch. Volkskundliches aus der Oberpfalz im 19. Jahrhundert
Sagen und Märchen aus der Oberpfalz
Sitten und Sagen aus der Oberpfalz: Aus dem Volksleben