§. 4. Unbeholfenheit.

[11] Hiezu gesellt sich noch eine gewisse Unbeholfenheit des Deutschen im öffentlichen Leben, weßhalb die Bevormundung des Individuums wie der Gemeinde zum Gesetze geworden ist. Der Deutsche gilt in mehrfacher Beziehung entweder als Professor oder als Schüler. Bey ihm muß Alles gemaßregelt werden bis in das Innerste der Familie hinein und Selbständigkeit gilt ihm als Auflehnen gegen hergebrachte Schulordnung. Kein anderes Volk schwört so gerne in verba magistri und ist bei angebornem Rechtssinne so leicht zu regieren. Wo Deutsche Sitte vor das Haus tritt, stößt sie auf Anordnungen, welche sie zurückweisen. Die Möglichkeit des Unfuges, und was kann nicht als solcher gelten, genügt zum Erlasse des Verbotes, der Aechtung Deutscher Sitte.[11] Wie könnte auch unten eine gewisse Selbstständigkeit sich entwickeln, wenn oben für Alles gesorgt werden will, dabey aber die leitenden Grundsätze so oft und so leicht gewechselt werden.

Wohl ist Dieses meist nur Nachhall jenes Umschwunges zu Anfange des Jahrhunderts, wo die zersetzenden Ideen der Philosophen zum Durchbruche kamen und antrieben, möglichst schnell die Völker nach ihrer Angabe aufzuklären. Doch ist es zugleich Beweis für Deutsche Zähigkeit, daß ungeachtet alles Verbietens und Strafens dennoch nicht Alles verloren ist, was das Volk aus dem Schwedenkriege sich gerettet hat. Leider ist die Liebe zum heimatlichen, altererbten Herde gewichen. Das Heimat ist zur Waare geworden, die Weihe desselben, seine Heiligkeit beseitiget. Selbstsucht und Rohheit haben die Stelle früheren Gemeinsinnes und nachbarlichen Verkehres eingenommen. Von den Spielen in der offenen Flur ist die Jugend hinweggejagt in die Wirthsstube und weil die ehrbare Sitte der Ahnen ihnen unbekannt geworden oder gar verboten ist, ergeht sie sich in wilder Raserey beym Tanze, in verwegenem Kartenspiele oder politischen Kannegießereien.

Dem Deutschen ist die Liebe Deutscher Erde abhanden gekommen: mißverstandene Aufklärung, zu großer Eifer für ihre Verbreitung trägt größtentheils hieran die Schuld. Wer aber die Stätte nicht liebt, wo er und seine Aeltern geboren worden, wie soll der mit Liebe am Vaterlande hangen? Was macht das Land zum Vaterlande als das Bewußtseyn alten Besitzes? Nun ist dem[12] Deutschen Amerikanischer Boden gleichen Werthes wie sein eigener; ohne Wehmut wandert er aus, denn er zieht ohne glückliche Erinnerung fort, und gleichgiltig ist es ihm, wo der Zug hinführt, wenn er nur zu leben hat.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 11-13.
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