§. 5. Deutsche Sitte.

[13] Wie zu Anfang dieses Jahrhunderts der Vandalensturm gegen Alles losbrach, was Kirche und Kloster hieß, so auch gegen Alles, was von Deutscher Sitte und Einrichtung unter der Herrschaft von Römischer Gesetzgebung noch geblieben war. Geboren um sich zu nähren, Kinder zu erzeugen und dann ins Grab zu steigen, sollte der Mensch nichts anstreben als was der herrschende Zeitgeist hiefür zu bezeichnen für gut fand. Der Damm, den das Sittengericht der Gemeinde, der Körperschaft gegen jede Art des Abweichens von der Väter Brauch aufgeführt, ist niedergerissen: die Gemeinde kein gesunder Organismus, ein administratives Gebilde, ein Aggregat von Elementen, die nicht Wurzel schlagen können, weil sie keinen entsprechenden Boden finden. Und doch ist es in Bayern viel besser bestellt in dieser Hinsicht als sonst wo. Das Ganze hat sich eben aufgelöst in seine Bestandtheile, jedes noch so kleine Ich sieht nur auf sich und seinen Vortheil; von unten auf ist Alles von Egoismus zersetzt und an die Stelle des alten Gottes der Geldsack auf den Altar gestellt. Jenes Grundelement des Deutschen Wesens, die Körperschaften mit ihrer Autonomie, sind zerstört, nun weichen alle Glieder aus den[13] Fugen, lösen in Individuen sich auf und noch sieht die Staatsweisheit vergebens nach dem Kitte, der sie wieder zu einem lebendigen Ganzen verbinden könnte.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 13-14.
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