§. 6. Die Kirche.

[14] Doch eine Säule steht noch vom großen Bau; die Kirche in ihrer angeerbten Umsicht, ihrem Konservatismus, sorgt nach Kräften wieder aufzubauen, was in chemischer Zersetzung sich gelöst hat, in Atome zerfallen ist. Sie gründet religiöse Vereine und Genossenschaften und nimmt gerade jene Theile des Volkes in Schutz, welche dem hereingebrochenen Uebel den wenigsten Widerstand entgegen zu setzen vermögen. An das Volk wendet sie sich gegenüber den Herren, an die Frauengemüther gegenüber den Männern. Soll noch Rettung möglich seyn, so geschieht es nur durch Wirken auf das weibliche Geschlecht als Träger häuslicher Sitte und Tugend. Nur aus der gesunden Familie baut sich ein kräftiger Staat auf.

Diese religiösen Genossenschaften bilden den Rahmen, in den später die politischen Genossenschaften einzutreten haben: sie bilden den Krystallisationskern, um den neues edles Leben aufschießen wird in natürlicher Entwicklung, dann, wenn Kirche und Staat in jenes Verhältniß getreten seyn werden, wo Eines dem Andern gerecht ist.

Dieses gilt von beyden Konfessionen. Auch auf Seite des Protestantismus nehmen wir ähnliche Thätigkeit wahr, und erfreulich ist es, wie derselbe man che Anstalten der[14] alten Kirche zu sich hinüber nimmt, und bedeutsam, wie jenseits Stimmen an maßgebendem Orte laut werden nach Hierarchie, Cölibat, Ohrenbeicht, Messe, symbolischer Liturgie. Beyderseits hat man Ursache mitsammen in äußerem Frieden zu leben, gegenüber dem gemeinsamen Feinde, dem Unglauben, um diesem die ungeschwächte, ungetheilte Macht ins Feld stellen zu können. Möchte es einmal den Protestanten gelingen, sich von den Vorurtheilen gegen die katholische Kirche frey zu machen und Verleumdungen das Ohr zu verschließen. Wie bedauerlich ist es, wenn so ehrenwerthe Schriftsteller auf dieser Seite, wie ein Hofrath Reichenbach zu Dresden in seinem jüngsten Werke, von einer Anbetung der Jungfrau Maria bey den Katholiken spricht. Tausendmal wurden solche Anschuldigungen widerlegt und tausendmal werden sie wieder gedruckt. Mit gewissenhafter Treue werden die Religionsbücher der Perser, Inder und Chinesen erforscht, nur katholische Religion will man nicht aus der Quelle, aus ihren Gesetzbüchern, kennen lernen: für sie genügt das Urtheil des großen Haufens!

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 14-15.
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