§. 7. Der Oberpfälzer.

[15] Da nun alte Sitte zu Tode gebracht und auch die Erinnerung daran bey der Richtung der Gegenwart bald begraben seyn wird, die Nachwelt aber unzweifelhaft sich dem zu Danke verpflichtet fühlen wird, der ihr erhält, was ehedem war, eben weil es nicht mehr ist, so habe ich es unternommen, solche Aufzeichnungen aus einem[15] Deutschen Gau zu geben, der vergessen oder verkannt in einer Ecke am Böhmerwalde sich hinzieht. Es ist mein Heimatland, die Oberpfalz, von der ich schreibe, allen seinen Kindern so theuer wie dem Irländer sein grünes Erin.

Die Oberpfalz ist ein Theil des alten Thüringischen Reiches, dann des bayerischen Nordgaues. Reiche Besitzungen der Hohenstaufen waren in ihr gelegen. Bey der großen Trennung des Bayerlandes im Jahre 1329 kam dieser Theil an die ältere oder Rudolphische Linie, die Pfalzgrafen bey Rhein und erhielt seinen Namen im Gegensatze zur unteren oder Rheinpfalz. Noch zu Anfang dieses Jahrhundertes sprach ein Oberpfälzer von der Rheinpfalz nie anders als von der unteren. – Mit Neid sahen die Luxemburger Kaiser aus ihrem Germanischen Midgard auf diesen glücklichen Strich Landes herab, von dem sie der natürliche Wall des Böhmerwaldes schied. Herrlicher Adel blühte auf den zahllosen Burgen: fast jeder Hügel trug eine solche. Dem machte der Schwedenkrieg ein Ende. – Die Oberpfalz kam an Altbayern, dem Winterkönige zur Strafe, dem Habsburger Kaiser zur leichten Abtragung seiner Schuld an das Haupt der Liga. Die Burgen wurden von den Schwedischen Barbaren verbrannt, gebrochen; wo von einer Anhöhe die Trümmer eines Schlosses traurig in die freundliche Landschaft herniederschauen, hat der Schwede gehaust. Klöstern, Kirchen und Pfarrhöfen ging es nicht besser. Damit wurden auch die Archive vernichtet, und was der Schwede verschont, holte der Klostersturm zu[16] Anfang dieses Jahrhunderts und Nachlässigkeit im Laufe desselben getreulich nach. Die Geschlechter sind zumeist verarmt, verkommen, das Volk aber lebt so ruhig dahin, als ginge es die ganze Welt draußen nichts an, und zahlt bei aller Armut gewissenhaft Steuern und Abgaben.

Immer als Anhängsel mächtigeren Stämmen dienend bewahrt der Oberpfälzer eine gewisse Zurückhaltung gegen Fremde, welche von diesen kurzweg mit der Bezeichnung »Falschheit« abgefertiget wird. Mit Leib und Gut dienstbar sollte er auch noch seine Seele zu Pfande geben. Abgeschlossen nach Außen ist er desto offener unter den Seinigen, besonders wenn er in seiner Mundart sich ergeben kann, die er nie vergißt. Doch schleift auch hier die Kultur, welche alle Welt beleckt, allmälig den Charakter der Mundart und damit des Menschen nach den gegebenen Mustern ab. Aber auch dann noch zeichnet ihn der eigentümliche singende Ton als Oberpfälzer.

Ein hervorstechender Zug ist seine Neigung des Wanderns, um Arbeit und Anstellung zu suchen. Alljährlich zieht eine Menge derselben nach Altbayern, um zur Aernte hilfreiche Hand zu leisten. Die Dienstboten aus der Oberpfalz sind wegen ihrer Thätigkeit und Nüchternheit gerne genommen. Noch vor fünfzig Jahren hieß es, Bayern werde durch Oberpfälzer regiert wie Oesterreich durch Böhmen. Jetzt sind Mayn- und Rheinfranken an ihrer Stelle. Die frühere Abneigung zwischen Oberpfälzer und Altbayer ist gewichen: allmälig wird er diesem als ebenbürtig erkannt; die Noth drängt dazu.[17] Die Scheidung, noch mehr die Art der Wiedervereinigung, mag Grund hievon seyn.

Pfälzische Mundart ist Beleidigung für oberbayerisches Ohr; auch liebte der Altbayer den nördlichen Nachbar, den »Pfalzla« als unbeholfen zurechtzuweisen. Noch vor zehen Jahren lockte ein ehrliches Weib dahier meinen ungezogenen Hund mit der Liebkosung: »Du Pfälzerdapp« unter dem Ofen hervor. Wenn der Oberpfälzer sieht, wie oft und wie gut der Altbayer ißt und trinkt, was ihm wohl vergönnt wird, und wie wenig er sich anstrengt, dieses sein reichliches Brod mit Fleisch und Bier zu erwerben, so mußte jener freylich zurücktreten vor einem solchen »Herrn«, er, dem es wohl ergeht, wenn er Salz hat zu seinen Kartoffeln und an den Hochzeiten des Jahres Fleisch genießen darf.

Tag und Nacht arbeiten, schlecht sich nähren und dabey zufrieden seyn, ist Grundzug Oberpfälzischen Lebens. Die Genügsamkeit ist da am Platz, wo der Boden arm und der Verdienst im Handwerke gering ist. Die Weberey war sonst allgemeine Nebenbeschäftigung zum Feldbau: der Zollverein hat diese Quelle aufgetrocknet und nun herrscht größte Noth. Neben dem Flachsbau blühte sonst allerorten der Bergbau auf Eisen: seit dem Schwedenkriege zerfiel auch dieser Erwerbszweig: doch scheint man jetzt dahin wieder zurückzukehren.

Außerdem leidet die Oberpfalz empfindlichst an den Folgen des Vandalismus, mit welchem man vor fünfzig Jahren gegen Alles was Wald hieß, zu Felde zog. Kultur war das Losungswort. Heut zu Tage scheint[18] man durch ganz Deutschland einen förmlichen Kreuzzug gegen das Wasser in Teich und Weiher und See zu organisiren: die Folgen werden noch fühlbarer werden. Nichts straft sich schneller, als Sünde wider die Natur.

Außerdem ist der Oberpfälzer lernbegierig, faßt leicht, hat Ohr für Musik und Sprachen: gesellig und dienstbereit ist er weniger derb als der Bayer. Nachbarschaft und Gevatterschaft steht theilweise noch in altem Ansehen; zur Geselligkeit trägt bey, daß Jeder im Gemeinbräuhause braut und die Nachbarn so lange als Gäste bewirthet, als der Vorrath ausreicht, worauf die Reihe an den Nächsten kommt, bei dem nun er zu Gaste geht. Dieses heißt mern, etwa zu Gothischem merja = austheilen und Schwedischem merja = anstoßen zu halten.

Der Wuchs ist hoch und schlank; zu Anfange dieses Jahrhunderts war das Regiment Junker in Amberg aus Oberpfälzern bestehend das schönste des Bayerischen Heeres. Auffallend ist die Bildung des Knies nach Innen, worin eine Aehnlichkeit mit Skandinavischer Körperbildung gesucht werden will. Der Größe entspricht die Kraft. Oberpfälzische Bauern waren es, welche den unbesiegten Hussiten den ersten empfindlichen Schlag beybrachten bey Hiltersried.

Die Haare trägt der Mann vorne kurz abgeschnitten, vom Hinterhaupte bis zum Nacken hin lang abfallend, das Weibervolk nach Germanischer Sitte von Stirne und Hinterhaupt zurückgestrichen und oben auf dem Scheitel in einen Knoten gefaßt. Reiches Haar und weiße Zähne, die bis in hohes Alter bleiben, sind Eigentum der Bevölkerung.[19] Die Frauen haben den Ruf großer Fruchtbarkeit.

Des Haares Farbe ist mehr oder minder blond; schwarzes Haar weist auf Slavische Abstammung; wo dieses vorherrscht, wird blondes mißachtet.

Es wäre wünschenswerth, die Landestheile, wo dieser fremde Stamm sitzt, näher zu erforschen; er findet sich nur eingesprengt, gleich kleinen Eylanden und scharf abgeschnitten von Deutschem Blute. Damit stimmt auch die Kopfbildung. Ueberhaupt möchte kein Deutscher Gau solche Verschiedenheit von Volksstämmen aufzuweisen haben als die Oberpfalz.

Auf einem Umkreise von etlichen Stunden bei Velburg sind drey Stämme zu erkennen, im Westen Wenden, im Osten ein riesiger Schlag mit schwarzen Haaren und Augen, dunkler Gesichtsfarbe, magerem Körperbaue – in der Mitte Deutsche. Die Rötzer hinten am Walde waren sonst meist rothhaarig; sie selber rühmten sich altdeutscher Abkunft. Wo rothes Haar zu Neunburg erschien, mußte es aus Rötz seyn; auch die Mundart dort hat etwas ganz Eigentümliches, besonders reines a statt au und ä statt ei. – Hart daran sind wieder Ortschaften mit schwarzhaariger, andere mit hellblonder Bevölkerung. – Gegenwärtig wird das Haar immer lichter. Ich und meine Geschwister waren als Kinder die einzigen zu Amberg mit Flachshaaren; eine Taglöhnersfamilie zu jener Zeit dortselbst hieß »beym Weißkopf« vom flachshaarigen Hausvater. Jetzo sieht man fast mehr hellblonde Köpfe in den Schulen als dunkle, auf dem Lande[20] wie in der Stadt. Woher rührt diese auffallende Erscheinung? – woher jene andere der Abnahme der Größe und Stärke der Körper? – Unterliegen Volksstämme gleichem Gesetze wie die Familie, wo sich oft entfernte Generationen vollkommen gleichen, nahestehende unähnlich sind? – oder hat der Wechsel in Sitte, Nahrung Klima solchen Einfluß geübt? – Warum werden die Menschen jetzt so frühe alt? – Nur leise darf man die Frage berühren, ob nicht auch das Impfen einen Antheil hieran habe. – Mit dem Haare ist stets auch etwas Abweichendes in Sitte, Tracht, Körperbildung und Mundart zu bemerken. – Erforschen, Zusammenfassen und Vergleichen dieser Faktoren würde manches wünschenswerthe Ergebniß liefern.

Die malerische Tracht, die weitkrämpigen Hüte der Männer, ihre farbigen Röcke und rothen Westen, dann die weißen reinlichen, mit breiten Spitzen beränderten Hauben der Weiber, von denen breite lange Bänder von rother Seide oder blauer den Rücken hinabfallen, die weiten kurzen Röcke aus rothem oder grünem Stoffe, verschwindet immer mehr. Strümpfe mit blauen Zwickeln sind Deutsch, mit rothen Slavisch. Der Bundschuh ist noch in Geltung.

Der alte Styl der Häuser vergeht vor den Gesetzen der bauenden Kunst, die ohne Rücksicht auf Klima, Boden, Sitte, Bedürfniß Alles nach demselben, südländischen Maßstabe uniformirt. Darin liegt ein Grund zu dem Verluste der Individualität. Der Land mann ist in seinem eigenen Hause nicht mehr zu Hause.[21]

Schöne Wohnung verlangt nach schöner Einrichtung, diese nach schönen Kleidern; dann folgt, weil es sich nicht anders ziemt, gut Essen und Trinken, zuletzt die Sucht nach Vergnügen außer dem Hause. So ist der Gang der Welt.

Es steht mir nicht zu, hier zu tadeln: es genügt, daß es so ist. Der Strom wäre ja doch nicht aufzuhalten, in dem das Hergebrachte untergeht.

Noch herrscht Ehrfurcht gegen geistliche wie weltliche Obrigkeit. Religiosität ist tief gewurzelt, wenn gleich zur Zeit der Reformation der Oberpfälzer binnen Einem Jahrhunderte viermal sein Bekenntniß wechseln mußte, nach dem bequemen Satze damaligen Staatsrechtes: cujus est regio, ejus est religio. Durch den Uebergang des Landes an Altbayern kam katholischer Glaube wieder zur Herrschaft, im Geiste damaliger Zeit zum Theile mit Gewalt, woher noch das oberpfälzische Sprichwort: »Wart, ich will dich katholisch machen!«

In den jüngsten Sturmesjahren war die Oberpfalz die ruhigste Provinz: der Eingeborene haßt Schreyen und Kreyschen. Deshalb bringt er es auch nicht zur Geltung. Man ist diese Ruhe an ihm gewohnt, sie versteht sich von selbst. Wenn das Himmelreich Gewalt leidet, steht zu fürchten, daß auch da der Oberpfälzer hinter den Gewaltigen seinen Platz hat. – Die Treue ist ihm angeboren: schöne Züge davon wären zu erzählen: er bleibt treu auch da, wo ihm nicht geschmeichelt wird: seine Liebe ist uneigennützig.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 15-22.
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