§. 72. Unterirdische Gänge.

[454] Darf man dem Volke glauben, so ist die ganze Oberpfalz von Gängen, welche oft stundenweit durch Berg und Thal, durch Fels und Sand, selbst unter Wasser in der Erde sich fortziehen, unterminirt. Wer hat sie gebaut? Darüber schweigt die Urkunde. Das[454] Volk schreibt sie den Zwergen zu, dann den Rittern, welche von ihren Burgen aus solche Gänge durchbrechen liessen, theils zur Verbindung mit andern Schlössern, theils um heimliche Ausgangspunkte für die Zeit der Gefahr zu haben. Spätere Zeit trug nun auf die Klöster über, was früher von den Rittern galt, und setzte diese in Verbindung, um ungesehen sich zu treffen, die Schätze, welche sie aufgehäuft haben sollen, zu verbergen.

Diese Gänge gleichen unterirdischen Heerstrassen und münden sich an uralten Mittelpunkten frühern Lebens; in Schachten führen sie gerade hinauf an das Licht des Tages aus dem Dunkel der Erde, so hoch durch den härtesten Felsen, daß man staunt, wie die Vorzeit solche Kunst, solche Ausdauer, so ungeheure Kosten aufbieten konnte. Liegt der Zweck dieser Gänge bey Burgen, Klöstern, Städten, auch vor Augen, so frägt sich wieder, ob sie nicht schon dagewesen zu einer Zeit, wo jene noch nicht waren, ob sie nicht vielmehr als schon vorhanden benutzt wurden. Am räthselhaftesten erscheinen die Zwergengänge: ihr Daseyn ist verbürgt, wozu aber dienten sie, da sie eben nur für Zwerge groß genug sind? wozu die Kammern, von denen sie unterbrochen werden? Hier war Kunst thätig: die Erklärung, als habe das Wasser sich die Abzugswege gebildet, als wären es Spalten, welche bey der ursprünglichen Bildung der Erdoberfläche zurückgeblieben sind, ist oberflächlich, da sie sich nicht auf genaue Ortskenntniß gründet und ausser Acht läßt, was das Volk hievon weiß.[455]

Uebrigens liegt die Vergleichung mit den unterirdischen Häusern und Gängen der keltischen Pikten in Schottland und auf den schottischen Inseln nahe, von welchen Wilson berichtet. Die Sage schreibt sie einem Urvolke zu, welches von den jetzigen Bewohnern des Landes besiegt, in diese Behausungen unter der Erde sich zurückzog, und weil klein von Gestalt, auch darin leicht Raum fand. Dieses Urvolk ist jetzt zu kleinen bösen Wesen herabgesunken, welchen übermenschliche Kräfte zur Seite stehen.

Es ist ferner interessant, wie Zwergengänge neben Gängen aus Burgen sich finden. So ist in Amberg der Marktplatz vom Rathhause aus voll solcher Gänge und Kammern; links und rechts von ihnen befinden sich kleine Keuchen, an denen noch die Eisenringe hängen; eine grössere Kammer zeigt noch den Folterherd und an der Decke den Ring für den Aufzugsgalgen. Unter der Vils hindurch geht ein Gang zum Frauenkloster, von da zum Franziskanerkloster und weiter zu den Maltesern, dem ehemaligen Jesuitengebäude; hier geht ein Gang wieder herunter in den Steinhof, der nun niedergerissen ist, eine ehemalige pfalzgräfliche Burg, und von hier zu den ehemaligen Paulanern an der Stadtmauer. Rechts von den Maltesern führt ein unterirdischer Gang drey Stunden weit nach dem uralten Kastel, seit dem Schwedenkriege ein Hauptsitz der Jesuiten. Vom Rathhause zieht sich ferner ein Gang zum Ziegelthore, unter welchem sonst ein Verließ war, eine ehemalige Schatzkammer, mit welchem durch einen ähnlichen[456] Gang das Schloß auf dem Berge in Verbindung stand. Von da aus ziehen sich unter der Vils weg wieder zwey Gänge auf den St. Annaberg bey Sulzbach und in die Burg Rosenberg, zwey Stunden lang. Rechts auf dem Mariahilfsberge im Walde aber läuft ein Zwergengang vom sogenannten Zwergenberge aus, einem Steingeklüfte, nach Raigering, wo eine alte Burg stand, und von da nach Aschach: dieses ward in gleicher Weise mit Hirschau verbunden. So sagt das Volk.

In gleicher Weise ist der Boden, auf welchem Cham steht, von solchen Gängen unterhöhlt; erst unlängst kamen zwey durch Einsturz zu Tage; sie waren gewölbt und so hoch, daß ein Mann darin gehen könnte; auf der Burg, welche auf dem nahen Katzberg liegt, gehen sie aus.

Von den Burgen ist es etwas Bekanntes, daß von ihrem Innern unterirdische Gänge nach Aussen führten oder Verbindungen herstellten. Gewöhnlich gehen diese Gänge im dichten Walde zu Tage und ein geheimer Pfad darin führt zur Mündung des zweyten Ganges, der von der benachbarten Burg hergeleitet ist. Vielleicht ward auch Wasser, Holz, Speise auf diesem Weg in das Innere der Burg geschafft, besonders zur Zeit der Belagerungen. So befindet sich an einem Thurm der herrlichen Burg Wernberg, jetzt zu einer Zuchthauskolonie benützt, eine Fallplatte, die mit einem Ringe gehoben wird und auf einer Treppe aufliegt, welche in's Thal herab führt.

Vom Fahrenberg geht ein unterirdischer Weg bis in den Leuchtenberg hinüber, vom Freudenberger[457] Schlosse an den Fuß des Berges, von Eichelsberg nach Oberviechtach, von Tännesberg nach Wildstein, eine Viertelstunde weit bis in den Wald hinein, ein zweyter wieder nach Leuchtenberg, von Haus Murach bis zum Schlotthof, von der Schwarzenburg bey Rötz bis an den Schwarzweiher hinab, der von seinem schwarzen Wasser so benannt ist, vom Kürnberg nach dem Schwarzenberg bey Strahlfeld, von Leuchtenberg bis zur Burgmühle.

Aus der alten, zerstörten Burg bey Theining, welche auf einem Hügel steht, zieht sich ein Gang unter der Laber durch bis an die Sakristey der Kirche des Ortes.

Aus dem Keller der Burg Rieden geht ein Gang eine halbe Stunde weit im Berge fort und mündet sich an einem Steinfelsen als enges Loch.

Aber nicht bloß von solchen Gängen unter der Erde geht die Rede im Volke. Dieses meldet auch von Heerstrassen, welche nun tief unter der Erde liegen. Einer von Waldkirch, einem kleinen Dorfe bey Waldthurn, ging Nachts heim; da hörte er Schritte hinter sich, und nicht lange, so wurde er auf die Schulter geklopft. Er wendete sich um, und sah einen fremden Mann in alter Tracht. »Wohin des Weges?« frug der Fremde. Auf die Antwort: »nach Waldkirch,« fuhr der Fremde weiter fort: »Ich kenne Waldkirch noch als grosse Stadt, und bin die Heerstrasse, welche vom Schellenberge herführte, gar oft gegangen; jetzt ist sie tief unter der Erde gelegen. Du mußt wissen, ich kenne Waldkirch[458] schon zu einer Zeit, wo Waldthurn noch aus drey Höfen bestand.« Damit verschwand er.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 2, Augsburg 1857/58/59, S. 454-459.
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