5.

[136] Als Unser Herr Alles erschaffen hatte, Gras und Kräuter und Blumen, und ihnen die schönen Farben[136] gegeben, in denen sie prangen, machte er zuletzt auch den Schnee und sagte zu ihm: Die Farbe kannst du dir selbst suchen, denn du frißt ja so Alles. – Der Schnee ging also zum Gras und sagte: gib mir deine grüne Farbe, er ging zur Rose und bat um ihr rothes Kleid, dann zum Veilchen, und wieder zur Sonnenblume, denn er war eitel und wollte einen schönen Rock haben. Aber Gras und Blumen lachten ihn aus und schickten ihn seines Weges. Da setzte er sich zum Schneeglöckchen und sagte betrübt: »Wenn mir Niemand eine Farbe gibt, so ergeht es mir wie dem Winde, der nur darum so bös ist, weil man ihn nicht sieht.« Da erbarmte sich das Blümchen und sprach bescheiden: »Wenn dir mein schlechtes Mäntelchen gefällt, magst du es nehmen.« Und der Schnee nahm es und ist seitdem weiß; aber allen Blumen bleibt er feind, nur nicht dem Schneeglöckchen. Neuenhammer.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 2, Augsburg 1857/58/59, S. 136-137.
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