1029. Die Hexe von Staffelstein.

[84] Von A. Kaufmann.


»Ich grüß' euch, ihr Tannen, ich grüße dich, Forst,

Wo zuerst ich die Liebste gesehen!

Ich grüße dich, steigender Adlerhorst,

Wo die Liebste den Schleier ließ wehen!


Ich grüße dich, blumiger Wiesengrund,

Darin mein Liebchen gegangen!

Ich grüße dich, Rose, daran ihr Mund

Mit zärtlichem Kusse gehangen!«


Der Bursche sang's in den Forst hinein,

Er konnt' es ja nimmer fassen,

Daß ihn die falsche Liebste sein

Um einen Andern verlassen.


Der Bursche zog in die Welt hinaus

Und ward ein Holkscher Jäger,

Wie Sturm und Wetter ein Sausebraus,

Der vortrefflichste Schütz und Schläger!
[84]

Doch als er wieder nach Haus gedacht,

Wie dünn sind die Haare, die grauen!

Er zog in lauer Sommernacht

Durch Frankens waldige Gauen;


Und als er kam in der Tannen Grün,

Unter süßem Dufte zu reiten,

Die Seele hub an so frisch zu blüh'n,

Er sang wie in schöneren Zeiten:


»Ich grüß euch, ihr Tannen, ich grüße dich, Forst,

Wo zuerst ich die Liebste gesehen!

Ich grüße dich, steigender Adlerhorst,

Wo die Liebste den Schleier ließ wehen!


Ich grüße dich, blumiger Wiesengrund,

Darin mein Liebchen gegangen!

Ich grüße dich, Rose, daran ihr Mund

Mit zärtlichem Kusse gehangen!«


Doch plötzlich starrt sein muthig Roß,

So finster hat sich's umzogen,

Da sieht er auf altem, verfallenen Schloß

Ein seltsam Treiben und Wogen:


Da brauen Nebel, nur nebelgleich

Viel graue Gestalten weben:

»Hilf Gott! das ist des Satans Reich!«

Und Flammen zucken und schweben.


Doch unter der Weiber gespenstiger Schaar

Hält Eine, Gewaltige, Hohe;

Ihr reicht man den brodelnden Kessel dar,

Sie spricht in die sprudelnde Lohe:


»Das sind die Nebel, die heute Nacht,

Aufspringende Blumen verderben!

Das kleinste Pflänzlein, das heut' erwacht,

Soll vor dem Pesthauch sterben!


Das ist der Hagel, deß wilder Schlag

Fährt in des Kornlands Wellen!

Dies tödtet die Schaf' in dem grünen Hag,

Dies Kuh und Kalb in den Ställen!
[85]

Das aber, paßt auf, ist der beste Trank, –

Gebt's jungem Volke zu trinken!

Der muthigste Bursche wird schwach und krank,

Wie liebliche Augen ihm winken;


Das feurigste Mägdlein siecht dahin,

Und läg's in des Liebsten Arme,

Nun fragt noch, ob ich mit mildem Sinn

Mich des jungen Volks erbarme?!«


Da hebt der Mond sich hell und grell,

Der dem Weib in die Augen brannte,

Drin schaudernd der alte Mordgesell

Sein einstiges Liebchen erkannte.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 84-86.
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