1038. Das Grab der Liebenden.

[92] Mündlich. – Sage von der Burg zu Knezgau Ldg. Eltmann am Main.


Kuno von Haßberg galt weit und breit als einer der reichsten und mächtigsten Herren fränkischer Ritterschaft. Der veranstaltete einst zu Ehren seines einzigen Töchterleins, welches heute den sechzehnten Geburtstag erlebte, ein festliches Jagen. Auch Minna nahm Theil daran. Unversehens war sie bei dem Verfolgen eines Hirsches von dem Gefolge abgekommen. Nach langem Herumirren stieg sie ermüdet von dem schnaubenden Rosse und lagerte sich, ein wenig zu ruhen, auf ein moosbewachsenes Plätzchen. Da krachte es plötzlich durch die Zweige und ein gewaltiger Eber nahte sich dem erschrockenen Fräulein. Entsetzt rief sie um Hülfe, noch einen Augenblick, so hätte der Hauer des Thieres ihr Kleid erfaßt – da traf ein Jagdspeer von starker Hand die Bestie, sie röchelte in ihrem Blute. Ein Knappe war es, welcher, von Gott gesendet, das Leben des Fräuleins gerettet hatte. Noch lag sie ohnmächtig zu Boden, Adolph richtete sie auf, Blicke des Dankes und der Liebe begegneten ihm. Von dieser Stunde an war zwischen Beiden ein stiller Bund geschlossen. Minna hielt es für Sünde, noch einem andern ihr Herz zu weihen. Lange Zeit blieb dieses Verhältniß den Augen der Welt verborgen. Endlich kam es bei einem Festmahle zu Tage, als das Fräulein dem Knappen mit Hinansetzung edler Ritter Beweise der Zuneigung gegeben hatte. Kaum gelangte die Kunde davon zu den Ohren des Vaters, als der unglückliche Knappe sogleich verstoßen, das Fräulein aber auf einige Wochen in die Haft ihres Kämmerleins gebracht wurde, um sich die sträflichen Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Indessen hatte die Strenge des Vaters nichts besser gemacht. Das Fräulein fand dennoch Gelegenheit, mit dem verstoßenen Jünglinge zusammen zu kommen; aber auch der Alte erhielt Nachricht davon und beeilte sich nur um so mehr, die Verlobung seiner Tochter mit einem reichen, ebenbürtigen Ritter zu Stande zu bringen. Als der festgesetzte Tag der Hochzeit herangekommen, ward die Braut halb ohnmächtig[92] in die Kirche geführt und ihre Hand in die Rechte des Bräutigams gelegt. Todtenblaß verließ die Jungfrau die Kirche; als es darnach zum Festmahle ging, schlich sie unbemerkt auf eine Zinne des Schlosses und stürzte sich verzweifelt in die Tiefe. Ihr Getreuer hatte sich auf die Kunde von der stattfindenden Verlobung in die Nähe der Burg begeben. Er hoffte, das Fräulein noch einmal auf der gewohnten Zinne zu sehen und noch einmal von ihr gegrüßt zu werden. Als er nun ihre Leiche zerschmettert am Boden fand, da soll er sie verzweifelt umschlungen und auch sich zur Stelle den Todesstoß gegeben haben. So fand man ein Leichenpaar. Als dem Alten die Kunde hinterbracht ward, stürzte er todt zu Boden. Mit ihm starb der letzte Sprosse eines berühmten Geschlechts. Die beiden Liebenden wurden in Einem Grabe vereinigt. Die Zeit hat keine Spuren davon hinterlassen, aber im Munde des Volkes lebt noch die Sage von dem unglücklichen Ausgang des edlen Geschlechtes und noch wird eine Stelle als das Grab der Liebenden bezeichnet.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 92-93.
Lizenz:
Kategorien: