1048. Kunigundis und die Aebtissin.

[101] J.a. Voragine leg. aur. c. 209. A. Crammer p. 136. Hoffman ann. p. 65. Ludewig script Bamb. I., 355.


Kunigundis hatte eine Nichte, Jutta geheißen, die war ihr vor allen lieb und werth, denn es war eine gute und treue Seele. Diese machte sie zur Aebtissin eines von ihr gestifteten Klosters. Jutta gab anfänglich all' ihren Ordensschwestern das schönste Beispiel der Demuth, Frömmigkeit und Kasteiung, so daß die Kaiserin hoch erfreut war, eine so gute Wahl getroffen zu haben. Es war aber noch keine feste, gleiche und beharrliche Tugend. Nach kurzer Zeit schlichen sich allerhand eitle und sinnliche Gedanken in das Herz der jugendlichen Aebtissin. Anstatt im Chorgebete[101] die erste und eifrigste zu sein, wußte sich Jutta unter manchem Vorwande von Sorgen und Hausgeschäften dem Dienste des Herrn zu entschlagen. Ihr ganzes Sinnen wurde irdisch und weltlich und auf die Eitelkeit der äußerlichen Dinge gerichtet. Solches nahm die heilige Kunigundis mit betrübtem Herzen wahr, ermahnte die Leichtfertige mit guten und strengen Worten und suchte sie auf die Bahn der Pflicht zurückzuführen. Allein vergebens. Jutta lächelte über die Strafreden der Kaiserin und ging ihres Weges. Eines Tages waren die Klosterfrauen zur Feier des Hochamtes im Gotteshause versammelt, nur Jutta fehlte mit einigen Ordensschwestern. Schon lange hatte sich Kunigundis nach der Aebtissin umgesehen. Jetzt entbrannte sie von heiligem Eifer und verließ eilenden Schrittes das Gotteshaus, die säumige Aebtissin im Kloster zu suchen. Jutta saß fröhlich mit einigen Ordensschwestern bei einem Imbiß in ihrer Zelle, als die Kaiserin flammenden Angesichtes hereintrat. Ohne viel Worte zu machen, schritt sie auf die Pflichtvergeßne zu und versetzte ihr mit der rechten Hand einen heftigen Backenstreich. Jutta war wie vom Blitze getroffen. Schuldbewußt und reuig fiel sie der Heiligen zu Füßen und bat um Verzeihung ob des gegebenen Aergernisses. Die fünf Finger der rechten Hand aber waren lange Zeit wie in Wachs eingedrückt auf der Wange der Aebtissin erkennbar.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 101-102.
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