1063. Der leidige Schuster.

[116] Von Ph. Zapf. Sage von Culmbach aus dem dreißigjährigen Kriege.


Was in so langen Kriegen verschonte Schwert und Brand,

Das sollte noch erliegen: die Pest nahm überhand.


Der Todten zu viel waren, begraben mußt' man doch,

Die Noth lehrt neu verfahren: man warf sie in ein Loch.


Ein Schuster ohne Sorgen schlief ein und ohne Noth,

Krank ist er schon am Morgen, am Abend bleich und todt.


Er wird hinausgetragen, als er gestorben kaum,

Des Weibes trübe Klagen erfüllen den öden Raum.


Doch in des Kirchhofs Mauern im Todtenloch erwacht

Er von des Scheintods Schauern und flieht in düstrer Nacht;


Und zu des Hauses Stufen gelangt in raschem Lauf,

Beginnt er laut zu rufen: mach' auf, mein Weib, mach auf!


Wie die den Ruf gehöret, o welch' Entsetzen schwer!

Wie trippelt sie verstöret im Hause hin und her.


»Gespenster! ach Gespenster!« sie ruft's und rennt hinaus, –

Der Schuster kroch durch's Fenster und schlief behaglich aus.


Er war von Bahr und Grabe zu Kräften bald erstarkt,

Da nimmt er früh die Habe und wandert auf den Markt.


Und trägt an seinem Stecken die Stiefeln und die Schuh,

Und zieht dem nahen Flecken mit frohem Singen zu.


Er holte unterwegen die Schuhcollegen ein,

Die sehn ihn an verlegen und flieh'n mit lautem Schrei'n.


Und als er gar gekommen zu Markt an seine Stell',

Da wird Reißaus genommen von allen Schustern schnell.


Drum theurer viel und schneller verkauft er seine Waar',

Man zog ab keinen Heller, weil er der einz'ge war.


Bald fertig mit dem Handeln, und geldbeladen schwer,

So zog er, heim zu wandeln, des Weges froh daher.
[117]

Und hoch stand noch die Sonne, da war er schon zu Haus

Zählt auf den Tisch mit Wonne die blanken Thaler aus.


In ihrer Kammer horchte das Weib dem guten Klang,

Der machte die Besorgte bald frei von Angst und Bang'.


Mit Freudethränengüssen trat sie zu ihm hinein

Und rief wohl unter Küssen und bei des Silbers Schein:


»O ewiges Erbarmen! Daß ich dich wieder hab!« –

Er rief: »In deinen Armen ist's wärmer als im Grab!«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 116-118.
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