1087. Der Kampf um Mitternacht.

[134] Von J. Seybold. – Sage von Steinernkreuz bei Selb.


Wo Bayerland am Böheim grenzt,

Liegt, roh aus Stein gemeißelt

Ein Kreuz1, vom Haidekraut bekränzt,

Das Sturm und Regen geißelt.

Dort ist es öd und menschenleer;

Die alten Hütten steh'n nicht mehr;

Die moosbedeckten Felder

Umnachten dichte Wälder.


Dort schläft ein Schwedengeneral

Im Kreis gefall'ner Brüder,

Die Schaar steigt Jahr um Jahr einmal

Aus kaltem Bette wieder.

Zerfetzte Fahnen weh'n voran;

Trompeten schmettern; Reiter nah'n

Mit grimmigen Geberden

Auf raschen, luft'gen Pferden.
[134]

Gerippe laden das Geschoß

Und richten seine Schlünde;

Der General besteigt das Roß –

Und wie die Braut der Winde

Wogt donnernd sein Kommandowort

Durch dichtgereihte Schaaren fort;

Hoch über ihnen heulen

Die aufgeschreckten Eulen.


Wie Blitze zuckt's durch Staub und Dampf;

Es krachet hin und wieder;

Bald vor- bald rückwärts wogt der Kampf;

Rings stürzen Kämpfer nieder.

Der bleiche Schädel hüpft vom Rumpf;

Es röchelt bang, es röchelt dumpf;

Die schwarzen Krieger steigen

Weg über blut'ge Leichen.


Gesunken ist der General;

Vier bärt'ge Männer tragen

Ihn fort zum Grab; – und durch das Thal

Ertönt ein lautes Klagen;

Die Feldmusik klingt matt und bang

Als wie des Sterbeglöckleins Klang,

Der Krieger Schaar entweichet,

Denn Mitternacht entfleuchet.

1

Erst vor Kurzem wieder aufgerichtet.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 134-135.
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