1093. Das rothe Männlein.

[138] Mündlich.


In der Pfarrkirche zu Waidhaus in der Oberpfalz sollte vor vielen Jahren eine Passionsvorstellung gegeben werden. Die Kirche war gedrängt voll Menschen. Da erscholl auf einmal Feuerruf, und Männer, die vom Chore aus durch das Kirchenfenster ins Freie sehen konnten, sahen deutlich, daß ein kleines buckliges Männlein in rothem Wamms, welches hinkend um die Kirche herumlief, der Urheber des Rufes war. Alles eilte den Thüren zu und es entstund ein furchtbares Gedränge. Mehrere Personen wurden erdrückt, etliche verwundet, eine vornehme Dame, die auf dem Chore ihren eigenen Stuhl hatte, wurde durch den Schrecken vom Schlag gerührt. Unter den Verunglückten wurde auch ein kleines[138] Männlein mit rothem Kamisol, wie es von den Männern vom Chore aus gesehen worden, scheintodt herausgetragen. Der Ortsbader eilte herbei, man rieb und schüttelte es und schob ihm den Aermel zurück, um ihm zur Ader zu lassen. Aber nun bemerkte man, daß seine Haut so gelb war, wie eine Citrone, auch zeigte sich, daß es einen Geisfuß hatte. Wie nun der Bader den Arm packen und den Schnepper ansetzen wollte, sprang das Männlein auf, riß sich los, theilte an die nächst Umstehenden ein halbes Dutzend Ohrfeigen aus, und ehe sich die Ueberraschten von ihrem Schrecken erholt hatten, war es verschwunden, kein Mensch wußte, wo es hin war. Ob nun das Männlein, wie damals die klugen Leute meinten, der Teufel selbst war, oder irgend ein anderer rother Geselle des Teufels, das ist bis heute noch nicht ermittelt worden.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 138-139.
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