1172. Die Karab bei Harburg.

[194] Mündlich.


Wenn man von Donauwörth an der Wörniz hinauf die Straße in das Ries verfolgt, so sieht man am rechten Ufer dieses Flusses eine Reihe von Hügeln sich erheben, die sich fernhin in die Wälder verlieren. Diese Gegend nennt man die Karab.

Vor vielen hundert Jahren lebte hier eine Gräfin von Leuchtenberg, der weithin die ganze Landschaft zu eigen war. Da geschah es, daß sie in den Tagen des Herbstes auf der Karab jagte, aber bei der Lust des Jagens sich von ihren Dienern entfernte, und einsam und verlassen durch die dunkeln Forsten irrte. Umsonst ließ sie ihr Hifthorn durch die Wildniß ertönen, Niemand hörte sie, immer dichter wurde der Wald und immer tiefer die Nacht.

Also von jeder menschlichen Hilfe verlassen, wandte sie ihren Blick nach oben und that das Gelübde, alle diese Wälder, die ihr gehörten, demjenigen Orte auf ewige Zeiten zu schenken, von welchem sie zuerst Glockengeläute vernehmen würde, das sie sicher nach Haus geleiten könnte. Kaum hatte sie dieses fromme Gelübde in ihrer Seele vollzogen, da tönte fernher durch die Nacht Glockenklang zu ihren Ohren: es war das Geläute der Harburger Kirche. Die Gräfin folgte dem himmlischen Klange und gelangte wohlbehalten zu den Ihrigen. Dem Gelübde treu schenkte sie den schönen Wald der Gemeinde Harburg, welche seitdem im Besitze der Karab geblieben.

Anders wird diese Schenkung in der Klosterchronik von Donauwörth berichtet.[194]

Im dreizehnten Jahrhundert lebte eine gräfliche Wittwe, Namens Hilaria, auf ihren Gütern zu Lederstadt am Schellenberge bei Donauwörth. Ihr Sohn hatte sich gegen ihren Willen mit einem Edelfräulein verheirathet, worüber die Gräfin so aufgebracht wurde, daß sie den ruchlosen Entschluß faßte, ihre Schwiegertochter bei Seite zu schaffen. Bald ergab sich eine Gelegenheit, die grauenvolle That zu vollführen. Die junge Gräfin unternahm eine Reise nach dem Rhein, ohne die mindeste Ahnung, daß sie diese Reise dem frühen Tode zuführen sollte. Die sie begleitenden Diener, von Hilaria bestochen, stürzten die Gräfin bei der Fahrt über den Rhein in's Wasser. Ihr unglücklicher Gemahl wußte, als er die Nachricht erfuhr, seines Jammers kein Ende, und folgte der Hingeschiedenen bald in's Grab. Da stand nun Hilaria in ihrem hohen Alter allein und verlassen auf der Welt, ohne Erben ihrer reichen Besitzungen, ohne Frieden in ihrem Herzen. Von Gewissensbissen gefoltert, wollte sie die Blutschuld durch fromme Vermächtnisse sühnen, und überließ zu dem Ende den großen, 2400 Tagwerke haltenden Forst am Schellenberge der Stadt Donauwörth; einen zweiten schenkte sie der Gemeinde Wertingen, und auf gleiche Weise die Karab der Stadt Harburg, mit der Verbindlichkeit, daß zu ewigen Zeiten für ihr Seelenheil Stiftmessen gelesen und gewisse Gebete verrichtet würden. In Donauwörth ist in der That die Frühmesse auf den dortigen Forst gestiftet, ebenso in Wertingen und wird des Namens der Stifterin in den herkömmlichen Gebeten noch gedacht.


KORREKTUR 10.7.2019: Wie uns ein aufmerksamer Benutzer von zeno.org mitteilte, handelt es sich wohl um Mertingen, nicht Wertingen. Vielen Dank!


Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 194-195.
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