1205. Die Heldensage von Heinrich dem Löwen.

[220] Von J. Mosen. Die allbekannte Sage von Heinrich – dem Gründer Münchens – konnte hier nicht in der Ausdehnung der alten Volksbücher, nicht einmal in Simrocks Bearb. gegeben werden. Man begnügte sich mit einer der kürzesten poetischen Darstellungen.


1.

Meer und Windsbraut Arm in Arm

Tanzen wild den alten Reigen,

Heinrich steht im Schiff voll Harm,

Doch das Sturmlied will nicht schweigen.


Und er sprach zum Meer gewandt:

»Gottes Gnade soll dich binden!

Ich muß in das heil'ge Land,

Meiner Seele Heil zu finden.


Ueber Braunschweig halt' mein Gott,

Deine treuen Vaterhände!

Und mein Weib? Barmherz'ger Gott,

Wenn ich meinen Tod hier fände?


Tolles Meer und ohne Treu',

Heimlich, tückisch, wankelmüthig,

Brich mein Schiff mir nicht entzwei

Mit den Fluten sturmeswüthig!«


Doch das Meerweib todtenbleich

Mit den weißgemähnten Rossen

Steigt empor so nebelgleich,

Grün vom Lockenfluß umflossen.


Und es ruft: »Treuloser Mann

Nenne treulos nicht die Wogen,

Der du weichst vom Heeresbann,

Deinen Kaiser hast betrogen!«


Auf die Knie der Herzog fiel

Mit den Mannen in dem Schiffe,

Und mit Krachen trieb der Kiel

Mitten in die Felsenriffe.


2.

Ohne Wolken steht der Himmel,

Ohne Welle ruht das Meer,

Doch viel schreckliches Gewimmel

Rührt sich um das Schifflein her.


Grimme Haie, Ungeheuer,

Leichen wittern sie am Bord,

Und die Raben wie die Geier

Suchen Atzung an dem Ort.
[220]

In dem Schiff' am Felsenstrande

Liegen bleich und starr und stumm

Fern von Rettung, fern vom Lande

All' die Männer rings herum.


Unter ausgeleerten Kisten

Sucht der Steuermann nach Brod,

Will das zähe Leben fristen

Um ein Stündlein herber Noth.


Heinrich wickelt ein die Leichen,

Senkt sie in des Meeres Grab,

Macht des heil'gen Kreuzes Zeichen,

Möchte stürzen mit hinab.


Seine Augen zugedrücket

Liegt er nun im schweren Traum;

Plötzlich fühlt er sich entrücket

Hoch empor zum Himmelsraum.


Flügelschläge hört er schallen,

Rauschen langen Federschweif,

Und er ruht in Eisenkrallen,

Und ihn trägt der Vogel Greif.


Himmelhohe Felsen ragen,

Heinrich hält den Schwertknauf fest,

Hat den Greif sammt Brut erschlagen

Mitten drin in seinem Nest.


Ueber Berge, durch die Wüste

Zog der Held zur heil'gen Stadt,

Und er betete und büßte,

Wo der Herr geduldet hat.


3.

Harfen und Schalmeien hallen

Hell zu Braunschweig in dem Schloß,

Bunte Fähnlein müssen wallen,

Wimmeln muß ein Dienertroß;

Thronet doch beim Hochzeitmahle

Heinrich's Wittwe dort im Saale.


An der Thüre gar gewaltig

Still ein hoher Pilger steht,

Dem der Mantel weit und faltig,

Dem das reiche Haupthaar weht,

Dem zu Füßen hingeschmieget

Zahm ein starker Löwe liegt.


Doch ein Diener kommt gegangen

Weist den ernsten Pilger fort;

Aber der spricht ohne Bangen:

»Knabe, mir gefällt der Ort!

Hüt' dich! nebenan die Katze

Kämmt mit einer guten Tatze.«


Und der Jüngling schrickt zusammen,

Als er jetzt in grünem Licht

Sieht des Löwen Augen flammen;

Doch der Pilger freundlich spricht:

»Fürcht dich nicht! doch gib mir Kunde

D'rinnen von der Tafelrunde!«


Und der kluge Knabe flüstert:

»Unsre Herrin zart und bleich

Sitzt dort oben gramumdüstert,

Denn dem Grafen stolz und reich,

Der wohl munter sitzt daneben

Muß sie endlich sich ergeben.


Seit der Welfe fern gestorben

Auf dem Zug zum heil'gen Land,

Wurde mild und hart geworben

Um der edlen Wittwe Hand;

Endlich vor dem Drohn der Degen

Scheint ihr stolzer Sinn erlegen.«
[221]

Doch der Pilger forschet wieder:

»Wer ist jenes Frauenbild?

Traurig sieht sie vor sich nieder –

Bei der Braut so schön und mild!

Ihr schien einst der Graf treueigen,«

Sprach der Knabe: »Laßt mich schweigen!«


»Eile,« spricht der Pilger weiter,

»Flugs zur Grafenbraut hinein!

Sage ihr: ein Gottesstreiter

Heischet einen Becher Wein, –

Heischet ihn um Christi willen,

Seines Durstes Qual zu stillen.«


Und der Diener geht in Eile,

Kündet seiner Frau die Mähr

Bringt dem Mann nach einer Weile

Einen Kelch vom Golde schwer,

Und der Pilger leert die Schaale,

Und der Knabe kehrt zum Mahle


Doch die schöne Braut erschricket,

Wie sie in den Becher sieht,

Drinnen Heinrich's Ring erblicket,

Der in Gold und Steinen glüht,

Hat ihn bald herausgenommen

Heimlich bebend, herzbeklommen.


Ach sie schluchzet und sie weinet,

Und sie stürzet nach dem Thor,

Wo der Pilger jetzt erscheinet,

Mit dem Löwen tritt hervor;

Und schon hält er voll Erbarmen

Seine Gattin in den Armen.


Heinrich ruft im Zorn, im Grimme

Den erschrocknen Grafen an:

»Kennst du noch des Löwen Stimme,

Der du schlimm an mir gethan?

Graf! inmitten deiner Sünden

Muß dich so der Welfe finden?«


Und ein Fräulein rang die Hände,

Das zu seinen Füßen lag,

Und der Herzog gar behende

Zu der frommen Jungfrau sprach:

»Dir stell' heim ich seine Sache,

Nimm nur nicht zu schwer die Rache!«


Rings ein Danken, Jauchzen, Schreien

Und des Volkes Freudendrang,

Geigen tönten und Schalmeien,

Jubelnd die Trompete klang,

Und des Löwen dumpfes Brüllen

Wollte Stadt und Land erfüllen.


4.

Im Dom zu Braunschweig ruhet

Der alte Welfe aus,

Heinrich der Löwe ruhet

Nach manchem harten Strauß.


Es liegt auf Heinrich's Grabe

Gleichwie auf einem Schild

Ein treuer Todtenwächter –

Des Löwen eh'rnes Bild.


Der Löwe konnt' nicht weichen

Von seines Herzogs Seit',

Von ihm, der aus den Krallen

Des Lindwurms ihn befreit.


Sie zogen miteinander

Durch Syriens öden Sand,

Sie zogen miteinander

Nach Braunschweig in das Land.


Wo auch der Welfe wandelt,

Der Löwe ziehet mit,

Zieht mit ihm wie sein Schatten,

Auf jedem Tritt und Schritt.


Doch als des Herzogs Auge

In Todesnöthen brach,

Der Löwe still und traurig

Bei seinem Freunde lag.
[222]

Vergebens fing den Löwen

Man in den Käfig ein,

Er brach die Eisenstäbe,

Beim Herren mußt er sein!


Beim Herzog ruht der Löwe

Hält jeden Andern fern,

Doch nach drei Tagen fand man

Todt ihn beim todten Herrn.


Drum mit des Herzogs Namen

Geht stolz Jahrhundert' lang

Der Löwe wie beim Leben

Noch immer seinen Gang.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 220-223.
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