1232. Sankt Ulrich, der Versöhner.

[240] Von J.B.Hubmann, nach Jörg Breining.


Man sagt und singt viel fromme Mähren

Von Sankt Ulricus wunderbar,

Der einst in Augsburg Gott zu Ehren

Ein tugendreicher Bischof war.


Wohl nirgends lebte seines Gleichen

An Weisheit und an frommer Art;

Durch manigfache Wunderzeichen

Hat Gott durch ihn sich offenbart.


Einst lud den frommen Seelenhirten

Ein Graf zum Mahle bittend ein:

»So gerne möcht' ich Euch bewirthen

In meiner Burg mit edlem Wein'.«


Er bat so heiß, er bat so dringend,

Und Sankt Ulricus stimmte ein:

»›Mit Gott! es möge Segen bringend

Für Euch und mich das Jawort sein.‹«


Geladen war zum hohen Feste

So mancher edle Rittersmann,

Es setzten sich herum die Gäste

An reicher Tafel wohlgethan.


Und wie die Herrn im hohen Saale

Bei guter Speis' und süßem Wein

Sich weidlich laben an dem Mahle,

Da tritt ein Weib zur Thür herein,


Mit abgehärmten, bleichen Wangen,

Mit nassem Aug', doch edlem Leib',

Sie kommt so still hereingegangen,

Des Grafen schönes, junges Weib.


An ihrem Halse hing gebunden

Ein Todtenschädel graus und kahl,

Und an der Thüre bei den Hunden

Verzehrte sie ihr Jammermahl.
[240]

So trug sie wohl den Schädel kläglich

Ein ganzes Jahr in bitt'rer Noth;

So aß sie mit den Hunden täglich,

Ihr Bestes war nur Gerstenbrod.


Als Sankt Ulricus ihre Strafen,

Ihr Leid und ihren Gram gewahrt,

Da fragt er tief besorgt den Grafen:

»›Was büßet Euer Weib so hart?‹«


»Die Buhlerin – sie hat die Ehe

Mit einem Ritter frech entweiht;

So mag sie tragen denn ihr Wehe

Und büßen ihre Lust mit Leid.


Sie soll den kahlen Schädel tragen

Des Buhlen, der sie hat entehrt;

Den Buben selber hat erschlagen

Mein blankes, gutes Ritterschwert.«


Sankt Ulrich sprach mit milder Würde:

»›So wußtet Ihr gewiß und wahr,

Daß er sie frevelnd Euch verführte,

Und daß sein Leben sträflich war?‹«


Der Graf entgegnet fast verlegen:

»Mir ward die That von Freunden kund;

Wie sollt' ich da noch Zweifel hegen,

Wo mir geschworen Freundes Mund?«


Da schaut mit wehmuthsvollem Blicke

Der Bischof nach dem Himmel auf;

Nicht länger hält sein Aug' zurücke

Der heiß entquellten Thränen Lauf.


Er eilt vom Mahle fort zur Stelle,

Nach anderm Orte zieht es ihn;

In Gottes heiliger Kapelle

Da liegt er flehend auf den Knien.


Schon ist verstrichen eine Stunde,

Der Heil'ge fleht zu Gott um Licht,

Ob man des Grafen Weib mit Grunde

Der Sünde zeihe oder nicht.


Nun kehrt er wieder, segnet Alle,

Die Gräfin weinend auf ihn schaut;

Da tönet plötzlich durch die Halle

Des Todtenschädels Stimme laut.


Wohl schrecklich tönt es an den Grafen:

»Wie konntest du so fürchterlich

Die tugendreiche Gräfin strafen?

Gerecht bestraftest du nur mich!«


Das Schreckenswort erfüllt mit Schauer

Und Grauen Alles rings herum,

Und Alles starrt in tiefer Trauer,

Hinsinkt der Ritter bleich und stumm.


Doch bald hat er sich aufgerungen

Und mit dem Weibe sich vereint;

Er hält die Edle fest umschlungen,

Und löst den Schädel ab und weint.


»Gepriesen sei des Himmels Lenkung!

O kannst du, Reine, mir verzeih'n,

Vergeben solche Schmach und Kränkung,

Dann wird auch Gott mir gnädig sein!«


Da zog mit freudig süßem Leben

An's Herz die Engelreine ihn:

»So bist du wieder mir gegeben,

So bist du mein für immerhin!


Gott möge dir und mir verleihen

Des Himmels volle Seligkeit,

Und gnädig Jedem so verzeihen,

Wie deine Gattin dir verzeiht.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 240-241.
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