1273. Der Knabe mit dem goldnen Horn.

[271] Von AdalbertMüller. – Sage von Falkenstein am Inn.


Ein Knabe hatt' ein golden Horn

Und kam in's Bayerland,

Und blies sofort auf seinem Horn,

Wo er ein Mägdlein fand.


Das goldne Horn, es klang so süß,

Es klang so wundersam;

Und wenn der schöne Knabe blies,

Wohl Mägdleins Auge schwamm.


Und wenn der schöne Knabe sang

Von heißer Liebeslust,

Da wurde Mägdleins Herz so bang,

Es wogte hoch die Brust.


Ein unbekanntes Sehnen schlich

Im jungen Busen hin,

Und ach! der gute Engel wich

Von dem empörten Sinn.


Deß freute sich der Knabe viel,

O weh dir armes Herz!

Er trieb mit deiner Unschuld Spiel,

Mit deinem Kummer Scherz.


So zog er mit dem goldnen Horn

Durch's schöne Bayerland;

Blies weidlich in sein golden Horn,

Bis er Mathilden fand.


Des Falkensteiners Töchterlein,

Die Zier der Edelfrau'n,

Sie war so hold und engelrein,

So minniglich zu schaun.


Das goldne Horn, es klang so süß,

Es klang so wunderlieb;

So lockend auch der Knabe blies,

Ihr Herz doch ruhig blieb.


So kosend der Verführer sang

Vom Gluthgefühl der Lust,

Der Jungfrau wurde nimmer bang,

Kein Seufzer hob die Brust.


Da faßt ihn der Verzweiflung Wuth,

Der Rächer war ihm nah;

Er stürzet in die Stromes Fluth,

Kein Aug' ihn wieder sah.


Seitdem hört man zur Geisterstund',

Wenn Nacht den Inn umgraut,

Hohltönend aus dem tiefen Grund

Des Hornes Klagelaut.


Es braust in wilden Melodei'n,

Wie abendlicher Sturm,

Und Kauz und Uhu heulen drein

Aus dem verfallnen Thurm.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 271.
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