1308. Die Passionsgrube.

[296] Mündlich.


Zwischen Bamberg und Nürnberg in der fränkischen Schweiz ist eine »Passionsgrube.« In selbiger Gegend lebte ein armer, jedoch rechtschaffener Bauer; der war ohne sein Verschulden tief in Schulden gerathen. Morgen sollte er bezahlen, aber woher nehmen und nicht stehlen? Das machte ihn ganz traurig und mißmuthig, auch in der Kirche ließ es ihn nicht, sondern trieb ihn hinaus in die Felsen und Geklüfte, wo er dann wie ein Verzweifelter umher ging. Wie er nun so in Gedanken wandelte, stand er auf einmal vor einer Höhle. Die Neugierde hieß ihn eintreten. Da glänzte und funkelte Alles vom reinsten Golde. Schnell raffte der Mann zusammen, was seine leeren Taschen und sein Hut nur fassen konnten und fort gings aus der Höhle, als wenn ihn der Wind entführte. Der erste Gang aber, welchen er machte, war zu seinem Gläubiger. Ein kleiner Theil des Goldes reichte hin, diesen zu befriedigen. Aber das viele Gold erregte den Neid des Nachbars, so daß er drohte, bei Gericht[296] Anzeige zu machen. Der gutmüthige Bauer erzählte den Hergang, entdeckte auch Zeit und Ort, da er zu seinem Schatze gekommen. Des andern Jahres am nämlichen Tag machte sich der Geizhals mit vielen Säcken auf den Weg zur Passionsgrube. Die Höhle fand sich, darinnen Gold in Fülle. Nun raffte der Geizhals nach Herzenslust, füllte Sack um Sack, und dachte nicht mehr an den Rückweg. Auf einmal war die Oeffnung der Höhle geschlossen; so mußte der Geizhals erbärmlich zu Grunde gehen. Er hatte nicht gewußt, daß Passionsgruben nur so lange offen stehen, als der Geistliche in der nächst liegenden Kirche die Passion liest. Mit dem letzten Worte derselben schließen sie sich bis zu demselben Tage des nächsten Jahres.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 296-297.
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