1357. Die Seebraut zu Starnberg.

[336] Von Saphir. – Nach mündl. Ueberl. Nur die Namen sind Zuthat.


Es lebet im Volke die gräuliche Mähr',

Es wird sie ein Jeder wohl wissen,

Der See dort zu Starnberg gibt nimmermehr her,

Was er in die Tiefe gerissen,

Die Todten, die sonst kein Gewässer behält,

Die gibt dieser See nicht zurück mehr der Welt,

Er stellet sie aufrecht im schilfigen Grunde,

So schauen's die Fischer zur heimlichen Stunde.


Es lebte ein Fischer, so jung und so schön,

In Starnberg dort, nah' an dem Strande,

Er hatte ein Mädchen zur Lieb' sich erseh'n,

Das herzigste Mädchen im Lande;

Ihr Vater der lebte in Berg auf dem Schloß,

War stolz auf sein Geld, auf sein Jägergeschoß,

Wollt nimmer und nimmer es willig gestatten,

Die Tochter Aline dem Fischer zu Gatten.


Die Tochter Aline, in Liebe entbrannt,

Fährt nächtlich im See auf dem Nachen,

Es liegen die Ufer im Schlummergewand,

Die Sterne der Liebe nur wachen;

Von drüben herüber da schimmert ein Kahn,

Der Fischer durchschneidet die willige Bahn;

Inmitten des Sees da finden sich Beide,

Und herzen und kosen in Lust und in Freude.


Und schwören sich Treue in Leben und Tod,

Und haben des Schwörens kein Ende,

Bis mahnend des Morgens frühzeitiges Roth

Umsäumet die felsigen Wände;[336]

Allnächtlich also zu derselbigen Stund'

Erneuen sie schwörend den heiligen Bund;

Es scheinen die Wellen viel stiller zu rauschen,

Den Schwänen der Liebe als Zeugen zu lauschen.


Als einmal Aline zurückschifft an's Land,

Bis tagend die Dämm'rung soll enden,

Da weilet ihr Vater ergrimmt schon am Strand,

Und faßt sie mit wüthenden Händen,

Und sperret sie einsam in's ferne Gemach,

Bestellet zwei Diener zu Hut ihr und Wach',

Auf daß sie nicht wieder allnächtlich entrinne,

Den Fischer nicht wieder im Nachen gewinne.


Und morgen zur Nachtzeit da harret er lang',

Der treue, inmitten des Sees,

Er harret und harret so peinlich und bang',

Voll Sehnsucht und liebenden Wehes;

Er lauscht durch der Dämmerung freundlichen Flor,

Kein Ruderschlag tönt an sein lauschendes Ohr

Kein Nachen durchpflügt die geebneten Wellen,

Die Herzallerliebste ihm zuzugesellen!


Die andere Nacht zu derselbigen Zeit

Kömmt wieder der Fischer gezogen,

Er sitzet im Nachen mit bitterem Leid

Und weinet hinein in die Wogen,

Sein Auge ist sehnend nach Jenseits gespannt,

Da stößet kein Fahrzeug vom finsteren Strand,

Er harret und harret bis wieder Aurore

Erschließet des Morgenroths flammende Thore.


Es kehret der Fischer in jeglicher Nacht

Zurück zu der nämlichen Stelle;

Ob Sturmeswind tobt, ob der Mondenschein lacht,

Sein nächtliches Reich ist die Welle;

Bewegungslos sitzt er im schaukelnden Boot

Und weinet die Augen sich brennend und roth

Und harret und harret, ob nimmer geschwommen

Die süße Geliebte im Nachen will kommen!


Und vierzig der Nächte, noch zagend und bang',

Saß harrend der Fischer im Nachen,

Sein Auge war trübe und bleich seine Wang'

Von Trauern und Weinen und Wachen,[337]

Sein Herz ist von Sehnsucht und Gram ihm zerstückt,

Sein Sinn ist von Qual und von Schmerz ihm berückt,

Es faßt ihn tiefsinnig ein Weh' und ein Trauern,

Es faßt ihm die Seele mit eisigen Schauern.


Und schwarzes Gewölke verfinstert die Nacht,

Der Sturm hat den Fittig entfaltet,

Der zürnende Donner rollet und kracht,

Vom Blitz wird das Dunkel gespaltet,

Er spaltet mit Flammen die brausende Fluth

Da lodert der See wie ein Becken voll Blut,

Und stille und bleich, von den Flammen umflogen,

Sitzt harrend der Fischer inmitten der Wogen.


Da zuckt hernieder ein flammender Strahl,

Die Felsen erzittern und wanken

Da faßt es den Fischer mit Schauern zumal,

Es wirren ihm bang die Gedanken;

Er ruft in den See 'nein mit Wahnsinn und Schmerz:

»Du rufst mir, mein Liebchen? Ich komme mein Herz!«

Und stürzt sich hinab, mit wollüstigem Grausen,

In's schäumende Grab voll Toben und Sausen!


Derselbige Strahl hat mit kochender Wuth

Das Schloß hoch zu Berg dort getroffen;

Alinen befreiet die wachsende Gluth,

Und Riegel und Thür steh'n ihr offen,

Sie stürzet hinunter durch Regen und Wind,

Sie stürzt zu dem Strande hinunter geschwind,

Und stürzt in den Nachen mit fliegenden Haaren,

Durch Regen und Nacht zum Geliebten zu fahren.


Da theilt sich voll Mitleid der wolkige Flor,

Der Himmel wird freundlich und milde,

Die Blume des Mondes blüht silbern hervor,

Beleuchtet das Wassergefilde,

Da zieht durch die Fluthen Aline im Kahn,

Und theilet die Welle, ein sinniger Schwan,

Und rudert und rudert mit Hast und mit Keuchen,

Die Stelle der Liebe nur bald zu erreichen.


Und als sie die Stelle mit Angst hat erreicht,

Steht leer da der wartende Nachen,

Entsetzen ergreift sie, ihr Odem entweicht,

Die Geister der Ahnung erwachen;[338]

Es rinnt durch die Adern ihr eisig das Blut

Sie starret hinab durch die lautere Fluth

Und schauet mit Wahnsinnslust und mit Wehen

Im schilfigen Boden den Liebsten da stehen.


Und wie dann das Wasser die Arme ihm hebt,

So scheint er nach ihr zu verlangen,

Sie wird von unendlicher Sehnsucht umwebt

Von Liebe und Irrwahn umfangen;

Ruft leise hinunter: »Mein Liebster bist wach?

Bereite nur schnell das krystallne Gemach,

Dein Bräutchen kommt endlich zur Hochzeit gezogen!«

Und stürzt sich mit Freude in's Bette der Wogen.


Da stehen sie unten und schauen sich an,

Von Zweigen hochzeitlich umwoben,

Und spület die Welle ein Opfer heran,

Herunter gestürzet von Oben.

Der, sagen sie, kommt zu der Hochzeit als Gast,

Der wird von ihnen ganz wirthlich erfaßt,

Und schlinget mit ihnen den gastlichen Reigen –

Am Boden tief unten in hängenden Zweigen.


Das ist im Volke die gräuliche Mähr',

Es wird sie ein Jeder wohl wissen

Der See dort zu Starnberg gibt nimmermehr her,

Was er in die Tiefe gerissen;

Die Todten die sonst kein Gewässer behält,

Die gibt dieser See nicht zurück mehr der Welt;

Er stellet sie aufrecht im schilfigen Grunde,

Es schauen's die Fischer zur heimlichen Stunde.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 336-339.
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