941. Der Geist vom Rothenfels.

[13] Nach: Bilder aus dem Nahethale a.a.O.


Wenn vom Zwielichte des Mondes erhellt, die Herbstnacht über das Nahethal herabsinkt, und des Uhu's Ruf aus den Klüften des Rothenfels und Rheingrafensteines hallt, dann schwebt aus den öden Schluchten der Felswand der Geist des Gebirges hervor im langen, faltenreichen Gewande, das wolkig wie Nebel fast bis zur Nahe hinab reicht. Er schwebt dann hin und her an der breiten Felswand, sitzt nieder auf die Zacken, hält die Nacht durch seinen Umgang, verschwindet aber wieder sobald der Tag graut. Drinnen in dem Felsen hat der Geist seinen Wohnsitz in einem kristallnen Hause, das schimmert von Golde und edlem Gestein. Bös ist der Geist nicht, wenn man ihn nicht höhnt und reizt; und er hat von jeher seine Lieblinge gehabt, die er reichlich beschenkte. Manchmal schwebt er auch hinüber auf die Ebernburg; aber dann heult der Sturm in ergreifenden Tönen um die zerfallene Burg, denn der Geist des Rothenfels trauert um seinen Liebling. Und das war kein Anderer als Franz von Sickingen. Wilder und toller war niemals ein Knabe im Nahethal, aber auch besser Keiner vor ihm und nach ihm. Sah er den Schwachen leiden, so war[13] er seine Stütze, sein Vertheidiger. Sah er Arme, so theilte er Brod und Kleid mit ihnen und ging lieber nackt auf die Burg zurück. Das sah der Geist und gewann ihn lieb; darum schützte er ihn mit unsichtbarer Hand in Gefahren und zog ihn einmal wunderbar aus den Wellen der Nahe, die ihn schon verschlungen hatte. Oft kletterte Franz an der Felsenwand hinauf in furchtloser Keckheit, mißachtend des Vaters Verbot und der Mutter Thränen. Dann setzte er sich hinter die Zacken, wie der Reiter sitzet im Sattel, und ritt lustig in der grausigen Höhe und schwindelte nicht. Eines Tages war er wieder in die Schluchten des Rothenfels geklettert, um des Falken Nest zu erreichen, das hoch oben in einer Spalte des Gesteines hing. Er hatte des Vaters Hifthorn mit sich genommen und stieß nun lustig hinein, daß der Rothenfels hallte und das Echo des Steins es vielfach zurückwarf, saß auch wieder nahe der tiefen Schlucht hinter dem graulichen Zacken und ritt. Und wie er so dasaß in schwüler Mittagsstunde und sich vergnügte, kam ihm plötzlich ein Schlaf an, der fast unwillkürlich sein Auge zudrückte. Er lehnte sich wider die Felswand und entschlummerte sanft, denn ein leise wehendes Lüftchen kühlte seine Wangen und der Felsen warf Schatten über seine Augen. Er schlief und schlief. Die Dämmerung kam und die Nacht. Da schwebte der Berggeist hervor aus seiner Wohnung, nahm ihn, den er unsichtbar umschwebte, hüllte ihn in seinen schleppenden Mantel, und trug ihn in seine kristallne Wohnung. Drüben in Ebernburg war große Noth um den Knaben. Der Vater mit seinen Reisigen und die hörigen Leute des Dörfleins suchten ihn mit Fackeln und Windlichtern am Fuße des Rothenfels im Gestein, wo man ihn gesehen und seines Hornes Töne vernommen hatte. Betrübt kehrte der Vater nach vergeblichem Suchen auf die Burg zurück zur trostlosen Mutter, mit ihr klagend, daß der Knabe sein frühes Grab in der Nahe gefunden. Derweilen war Franz erwacht und sah erstaunt um sich; denn tausendfach strahlte das Licht ihm entgegen. Solche Herrlichkeit hatte niemals sein Auge gesehen. Da schwebte der Geist auf ihn zu mit freundlichem Wesen. Der Knabe aber stand trotzig auf und fragte, wo er sei und wie er hierher gekommen. Der Geist erzählte ihm, wo er ihn gefunden und wie er ihn gerettet habe. Das ließ sich Franz gefallen, dankte furchtlos dem Geiste; verlangte aber alsobald, daß er ihn zur Ebernburg bringe. Solch' Wesen gefiel dem Geiste nur noch mehr, und er zeigte Franzen seine Schätze und lud ihn ein, sich zu nehmen; aber der Knabe verneinte das und bat, daß er wiederkehren dürfe. Der Geist gab ihm ein gülden[14] Kettlein, daran ein Edelstein hing und sprach: So oft du zu mir willst, so komm zu der Stunde, wo sich die Nacht mit dem Tage einet, an den Fuß des Rothenfels; nimm den Stein in deine Hand, und alsbald werd' ich bei dir sein und dich hereingeleiten. Franz schlang das Kettlein um seinen Hals und verbarg es sorgfältig. Darauf führte ihn der Geist sichern Schrittes hinab, hinüber nach der Ebernburg und verschwand. Ernster als je trat Franz in die Burg, wo lautes Frohlocken ihn empfing, aber auch des Vaters Unwille, den er stille trug. Er sagte nichts von dem, was ihm begegnet war. So lebte Franz forthin in steter Gemeinschaft mit dem Geiste im Rothenfels. Als er zum Ritter wurde, da standen die Schätze des Geistes ihm offen zu seinen Thaten und Zügen. Nur einmal warnte ihn der Geist – als er gen Trier zog – und wandte sich grollend von ihm, als er dennoch den Zug unternahm. Von der Zeit an folgte Unglück auf Unglück und ferne von Ebernburg fand er sein Grab; aber der Geist trauerte tief um ihn. Ein Jahr lang blieb er im kristallnen Hause verschlossen; dann ließ er sich wohl wieder sehen, und schwebte, wie noch heute in stillen Herbst- und Frühlingsnächten, hinüber nach Ebernburg, zu trauern um seinen Liebling. Trübe und wolkig ist seitdem sein Gewand, wenn er am Rothenfels hinschwebet, und im Grase am Ufer der Nahe zittern in kristallhellen Tropfen seine Thränen, die er weint um seinen Liebling, den letzten Ritter.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 13-15.
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