942. Die Legende von der Gründung Disibodenbergs.

[15] Bilder aus dem Nahethale S. 144 ff.


In der Hauptstadt Irlands lebte im sechsten Jahrhunderte nach unsers Herrn Geburt ein Bischof, welcher Disibod hieß. Er war ein Mann nach dem Herzen Gottes; denn sein Leben war Frömmigkeit, sein Thun Liebe, sein Leiden Geduld und Harren der Hülfe des Herrn. Der Ruf seiner Heiligkeit war groß unter dem Volke, und groß die Liebe, die es für ihn hegte. Darob wurde ihm der Erzbischof gram und verfolgte ihn, wo er nur konnte; ja er verklagte ihn selbst bei dem Papste zu Rom. Alles dieß trug der heilige Mann in der Demuth seines Herzens und küßte die Hand, die ihn schlug; das Volk aber liebte ihn um so mehr. Die[15] Verfolgungen des Erzbischofs ließen nicht nach, und zuletzt konnte es der heilige Mann nicht mehr ertragen. In einer Nacht erschien ihm der Engel des Herrn im Traume und führte ihn auf eine ungeheure Höhe. Sein Auge schweifte über das unermeßliche Meer, an dessen Saume sich eine Küste erhob. Dorthin, sprach der Engel, sollst du segeln und mit dir nehmen Salust, Gisbald und Clemens, die treuen Diener des Herrn, die dich lieb haben. Dort sollst du wandern unter den blinden Heiden, und predigen das Evangelium des Sohnes Gottes; da, wo du deinen Wanderstab in die Erde steckst und er grünt, wo ein weißes Reh sich dir naht und am Boden scharrt, daß ein Born lebendigen Wassers hervorquillt, da baue dir eine Hütte und weile. Gründe allda ein Kloster zu gottgeweihetem Leben und zur Beförderung des Reiches Gottes unter den Heiden. Disibod vernahm des Engels Kunde mit frohem Herzen. Schon am andern Morgen nahm er den Pilgerhut, hing die Ledertasche um und griff zum Stabe. Seine Freunde staunten ob seines Thuns. Als er ihnen aber kund that des Engels Geheiß, da nahmen auch sie Hut, Stab und Tasche und folgten ihm nach. Der Erzbischof freute sich baß; aber das arme Volk wehklagte laut, denn sein Freund und Tröster schied von dannen. Es folgte den frommen Sendboten zu der Küste des Meeres, wo das schwanke Schifflein lag, das sie aufnehmen sollte. Wild stürmte es auf dem Meere und die Wellen brandeten schauerlich an den Felsen der Insel. Das Volk warf sich nieder vor den frommen Männern und flehte Disibod an, daß er das Schifflein nicht besteige, das ihm gewissen Tod drohe. Ich bin in der Hand des Herrn auf dem Wasser, wie auf dem Lande, sprach Disibod; ich folge seinem Rufe. Sein heiliger Wille geschehe! Und alsbald bestiegen sie das Schifflein. Kaum war das Segel entfaltet, und der Anker gelichtet, so legte sich der Sturm und die See glättete sich wie ein Spiegel; bald aber erhob sich ein frischer Wind vom Lande, der die Segel blähte, daß das Schifflein mit den Glaubensboten durch die Fluthen dahin schoß, wie ein Pfeil von der Sehne des Bogens. An Frankreichs Küste landeten sie glücklich, und kaum waren sie ans Ufer getreten, als sie niederknieten und betend dem Herrn gelobten, als seine getreuen Sendboten rastlos umherzuziehen und das Wort des Lebens zu verkündigen, bis des Engels Verheißung würde erfüllt sein. So zogen sie denn durch ganz Frankreich, Jesum Christum verkündigend, und kamen nach neun mühevollen Jahren gen Trier, wo Magnerius Erzbischof war, zur Zeit, als Childebert der Zweite im Reiche herrschte. Der Erzbischof nahm sie liebevoll auf. Als[16] sie ihn baten, auch in den Landen, deren Oberhirte er war, des Herrn Wort verkündigen zu dürfen, sprach er: Ziehet hin, ihr Gesegneten des Herrn; er gebe euch seinen Segen zum Worte, daß es viele Frucht bringe! Also zogen die vier Gottesmänner von Trier weg und durchwanderten viele Jahre lang die Gebirge und die Wälder des Erzstiftes, überall weilend, wo frommer Glaube ihrem Worte entgegenkam. Die Jahre des h. Disibod aber nahmen zu, und er war müde des Wanderns. Er flehte daher zu dem Herrn, daß er ihn möge finden lassen den Ort, wo er bleiben sollte nach der Verheißung des Engels. Er hatte oft den langen Pilgerstab in die Erde gesteckt; aber nie hatte er gegrünt, und das weiße Reh war nie gekommen, daß es die labende Quelle aus dem Boden scharre. So war der Frühling wieder gekommen, und die Vögelein sangen ihre fröhlichen Weisen unter dem grünen Laubdache des Waldes. Die Quellen sprudelten helle, umgeben von blauen Vergißmeinnicht und schneeweißer Steinbrech. Der Himmel war tiefblau und heiter, und die Sonnenstrahlen erwärmten selbst des Waldes Dunkel. Die frommen Sendboten folgten dem Höhenzuge, der sich auf dem rechten Ufer der Nahe herabzieht, und kamen endlich an einen Berg, an dessen Fuße zwei Flüßchen sich vereinigen, die Nahe und der Glan. Da, wo gen Osten der Berg sich sanft abflachte, war ein Platz, den die Sonne freundlich beschien. Disibod und seine Genossen ließen sich hier nieder, denn sie waren müde von der Wanderung, welche sie bereits seit Sonnenaufgang, ohne zu rasten, fortgesetzt hatten. Als der Durst sie plagte, gingen Clemens, Gisbald und Salust hinab zu dem Flusse, dort ihre Kürbisflaschen zu füllen. Bei ihrer Rückkehr aber zu der Stätte, wo sie den frommen Disibod verlassen hatten, bot sich ihnen ein wunderbares Schauspiel dar. Der ehrwürdige Greis kniete betend in Mitten des Rasenplatzes. Sein hoher Pilgerstab stand in der Erde und schlug aus in Aeste und Blättergrün, und ein schneeweißes Reh scharrte mit seinem zarten Hufe, daß alsbald ein Quell herabrieselte ins frische Gras, so rein wie Kristall. Hier ist die Stätte heilig! rief Disibod. Lasset uns Hütten bauen! Und sie baueten sich Hütten daselbst und wohneten allda, und predigten das Evangelium dem nahe wohnenden Volke, welches sich um die frommen Männer sammelte. Der Wald auf des Berges Gipfel ward ausgerodet, und wenige Jahre nachher erhob sich daselbst eine herrliche Kirche nebst einem Kloster. Die Herrscher und Ritter des Landes bedachten es reichlich mit Gaben und die Mönche breiteten das Reich Gottes aus unter den Heiden, welche noch zahlreich im Gebirge[17] wohnten. Der h. Disibod aber blieb in seiner einfachen Hütte am östlichen Abhange des Berges, wo sein Stab zum schattenreichen Baume geworden war und der Quell, welchen des Rehes Huf gegraben, lustig hervor sprudelte. Neben seiner Hütte grub er sich selbst sein Grab und harrete, bis der Engel des Herrn ihn zum Frieden abrufen würde. Und als die Stunde endlich gekommen war, daß er das Zeitliche verließ, wurde er bestattet in seinem Grabe. Nachmals aber bettete man seine Gebeine unter dem Hochaltare der Kirche Disibodenberg.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 15-18.
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