946. Der Zweibrücker Syndicus.

[20] Mündlich.


In Zweibrücken steht zunächst dem unteren Thor ein stattliches, alterthümliches Haus, in welchem vor Zeiten ein Syndicus wohnte, ein alter, häßlicher Kerl, aber ein gescheiter Mann und dazu auch ein reicher Mann. Bei dem schönen Geschlechte war er natürlich in geringem Ansehen, aber desto mehr vermochte er im Rathe der Stadt, wo er bei schwierigen Fällen[20] wohl das ganze Collegium in's Schlepptau nahm. Welchen Gusto aber der Alte in Bezug auf das Frauenzimmer hatte, war lange nicht zu errathen, und sah man ihn zuweilen auch nach dieser oder jener schielen, so konnte das doch nicht auffallen, weil der Syndicus überhaupt schielte. Von der Kirche und Religion wollte er gar nichts wissen. Wenn die andern Leute frommen Sinnes bei dem sonntäglichen Geläute der Glocken zum Gotteshause wandelten, wühlte der Syndicus in seinem Gelde und fluchte wohl auf das einfältige Volk, welches nichts Besseres zu thun wüßte, als das Gerede der Pfaffen zu hören. Auf einmal aber war der Syndicus in diesem Punkte andern Sinnes geworden. Unvermuthet erschien er bei jedem Gottesdienste, der in der Kapelle am Kreuzberg, draußen vor der Stadt, abgehalten wurde. Anfangs wunderte sich männiglich darüber, am Ende aber gewöhnte man sich daran und vergaß seine frühere Ungläubigkeit. Eines Sonntages nun wurde vor versammelter Gemeinde ein Paar ausgerufen, welches gesonnen sei, sich in den heiligen Ehestand zu begeben. Der häßliche Syndicus war es und – das schönste Mägdlein der Stadt. Da sahen sich die Zweibrücker mit großen Augen an. Man glaubte den Geistlichen falsch verstanden zu haben, aber es war dennoch so und nicht anders, daß der alte, häßliche Syndicus die bildschöne aber blutarme Lisbeth heirathete, welche am Kreuzberge bei der Kapelle wohnte. Ihr hatten eigentlich die Besuche dieser Kapelle gegolten, und da er so unermeßlich reich und so außerordentlich schlau war, so wußte er die arme kränkliche Martha, seine künftige Schwiegermutter, eine sehr fromme aber schwache Frau, bald zu überlisten. Der häufige Besuch des Gotteshauses und die reichen Spenden, die er im Vorbeigehen, wie zufällig, der leidenden Armen selbst ins Haus trug, hatten ihm bald das Herz der alten Frau zugewendet. Als er den Boden genugsam bearbeitet wußte, trat er endlich mit seiner Werbung hervor. Allerdings kamen Mutter und Tochter in Verlegenheit; aber der fromme, wohlthätige, reiche Mann war's, der anfragte, und das zögernde Mädchen gab endlich auf die Zurechtweisung der Mutter nach, obgleich es einem Jägerburschen, dem schmucksten Jünglinge des Thales, tausendmal lieber die Hand gereicht hätte. Die Hochzeit fand statt. In prächtigem Geschmeide, aber auffallend blaß und traurig ging die Braut zur Kirche. Die Mutter zog nun zu ihrem reichen Schwiegersohn, starb aber bald darauf. Zwar munkelte man Dies und Jenes darüber, aber man hatte es mit dem reichen, schlauen und angesehenen Syndicus zu thun, und so verstummte jedes schlimme Gerücht darüber.[21] Die junge Frau sah man nun immer mit rothgeweinten Augen und bleichem Gesichte. Verstohlen kam sie zuweilen in einem Garten hinter dem Hause mit dem Jäger zusammen, wenn der Syndicus den Rathsherren auf der Rathsstube die Köpfe zurecht setzte; sie konnte die alte Neigung nicht unterdrücken, die nur um so mächtiger wurde, je mehr sie dieselbe aus dem Herzen zu verdrängen suchte. In ihrem Schmerze versahen es einmal die Beiden mit der Behutsamkeit, und der Syndicus stand plötzlich vor ihnen. Der Jäger floh, war aber von der Zeit an verschwunden. Was zwischen dem Syndicus und der jungen Frau vorging, erfuhr Niemand. Er schien sich jedoch beruhigt zu haben; denn am nächsten Tage führte er sie durch die Straßen spazieren, was man sonst nie gesehen hatte. Man sah Beide nach dem Berge gehen, wo der Steinbruch ist, aber nicht zurückkehren; sie müssen spät nach Hause sein, vermuthete man. Aber am andern Morgen brachte Jemand die Nachricht, daß eine todte Frau im Steinbruche liege, welcher das Messer des Mörders noch im Herzen stecke. Der Syndicus ließ sie zur Stadt bringen, wo man sie gleich erkannte. Niemand aber wagte sich über den auffallenden Mord zu äußern. Doch ward dem Herzoge die Sache berichtet. Als die von diesem abgesendete Wachmannschaft in das Haus des Syndicus kam, um ihn zu verhaften, lag er mit abgeschnittenem Halse am Boden. Schaudernd flohen die bärtigen Männer aus dem Zimmer, über den seltsamen Fall Bericht zu erstatten. Als sie die Straße erreicht hatten und nochmals ängstlich nach dem Hause zurücksahen, stand der Syndicus mit dem Kopfe unter dem Arme am Fenster und machte, wie zum Hohn, lebhafte Complimente gegen sie, während der Kopf gräßliche Grimassen schnitt. Mehrere Tage wagte es Niemand, das Haus zu betreten, bis der Herzog ernstlich befahl, dem Spektakel ein Ende zu machen. Als man den Sarg mit dem Todten auf der Straße hatte und ihn fortschaffen wollte – stand der Syndicus wieder oben am Fenster mit dem Kopfe unter dem Arme und machte Bücklinge über Bücklinge gegen die Versammlung. Man öffnete sogleich den Sarg, aber der Syndicus lag, wie man ihn gelegt hatte. Kaum war jedoch der Sargdeckel wieder über ihm, so stand er auch wieder am Fenster. Da trug man den Todten unbedeckt fort zum Schindanger, wo man ihn einscharrte und dann eiligst den Platz verließ. Aber Sonntagskinder sahen es, wie er gleich darauf aus seinem Loche herausstieg, mit dem Kopfe unterm Arm, und hinauf zum Steinbruche schritt, wo er sich jetzt noch zuweilen sehen läßt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 20-22.
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