950. Wie die Bauern Schloß Lindelbrunn nahmen.

[26] Mündlich.


Ein Haufe empörter Bauern lag vor Lindelbrunn. Als es ihnen nach vielen Versuchen doch nicht gelang, des Schlosses Meister zu werden, zogen sie plötzlich von dannen, als ob sie die Belagerung aufgegeben hätten. In einem benachbarten Walde hielten sie Lager und sannen zu Rath, wie sie die Burg durch List überwältigen möchten. Einer aus ihnen, ein schlaues Bäuerlein, begann: »Wißt ihr was? ich will mich auf Umwegen an die Burg schleichen und sehen, ob ich eingelassen werde. Komm' ich bis zu Sonnenuntergang nicht wieder zurück, so wißt ihr, daß ich im Schlosse bin, und dann machet euch auf den Weg, daß ihr um Mitternacht dort in der Nähe seid.« Die Bauern ließen sich diesen Vorschlag gefallen; das Bäuerlein aber erlangte richtig Einlaß in die Burg, stellte sich dort, als wär' er todtmüde und streckte sich noch vor Nacht auf das ihm angewiesene Lager. Zur Mitternachtsstunde aber wußte er sich unbemerkt an's Thor zu schleichen und die Zugbrücke niederzulassen, worauf die Bauern sogleich in die Burg eindrangen, die wenigen Knechte, welche sich widersetzten, niedermachten, und das Schloß plünderten und verbrannten.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 26.
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