952. Richard Löwenherz.

[27] Von K. Simrock. – Vgl. Sagenb. II., 325. Diez Leben und Werke der Troub. S. 102.


Der Wächter an der Zinne.


Diese Weis' und immer diese

Tag und Nacht

Singt der König im Verließe

Bis der Morgen lacht.

Sieh, schon durch des Schwarzwalds Forchen

Blickt sein Strahl,

Seinem Winke zu gehorchen

Eilen Berg und Thal,

Möcht er dem die Freiheit bringen,

Der mit schwindem Schwertesschwang

Weiß die Heiden zu bezwingen

Und die Herzen mit Gesang.


[27] Blondel.


Löwenherz, von dir erfundnen

Liedeston

Sang ich nun am vielgewundnen

Rheine lange schon.

Dich mit Liedern auszuforschen

Nicht gelang,

Nie erwiedern mir die morschen

Thürme den Gesang.

Horch doch, ist es nicht die Weise,

Die von jener Zinne dringt?

Fiel sie hier so tief im Preise,

Daß sie schon der Wächter singt?


Wächter.


Der da unten mit der Zither

Schleicht einher,

Mehr ein Sänger als ein Ritter,

Was ist sein Begehr?

Horch, die Töne sind es wieder,

Täuscht michs nicht,

Die so gern in seine Lieder

Der Gefangne flicht,

Einverstanden mit dem Helden

Mag der schlaue Fremdling sein:

Soll ich ihn mit Blasen melden?

Pflicht wohl wärs, doch herbe Pein.


Richard.


Singen lehrt ich Wand und Sprache

Dieses Lied,

Seit des Oesterreichers Rache

Mich von Menschen schied,

Nach von unten, nach von oben

Klingt es hold,

Wie zum Wettgesang erhoben

Um den Ehrensold.

Dort der Wächter; wärs mein treuer

Blondel, der mir unten sang,

Kläng es wohl mit anderm Feuer:

Freiheit ist der schönste Klang.


Blondel.


Bist du's, Richard, Herz des Leuen?

Heil dir, Held!

England ließ sich nicht gereuen

Schweres Lösegeld.

Immer konnte man dich milde,

Gütig schaun,

Männer boten Helm und Schilde,

Ring und Schmuck die Fraun.

Sieh, des Reiches Brief und Siegel

Gab mir Kaiser Heinrichs Macht,

Ungewiß, wo Oestreichs Riegel

Dich verborgen hielt in Nacht.


Richard.


Blondel, Bruder! Reich und Krone

Dank ich dir,

Aller Frauen Schönste lohne

Was du thust an mir.


Blondel.


Deines Volkes Lieb und Treue

Dankst du sie,

Deiner Milde, die ihr neue

Kraft und Fülle lieh.


Wächter.


Und mich dünkt, des Lobs gebührte

Auch der Weise wohl ein Korn,

Die euch hier zusammenführte:

Fröhlich stoß ich nun ins Horn.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 27-28.
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