978. Der Graf von Lichtenholz.

[47] Mündlich.


Bei Burghausen, Landgerichts Arnstein, liegen auf einem kegelförmigen, waldbewachsenen Hügel die Ruinen des Ritterschlosses Lichtenholz. An dem Fuße dieses Hügels befindet sich ein unergründbarer Abgrund, den noch heute die Bauern der Gegend mit festem Geländer umrahmen, weil vier aneinander gebundene Heubäume den Grund nicht erreichen, auch nie Jemand gerettet werden kann, der hineinzufallen das Unglück haben sollte.

In alter Zeit hauste auf jenem Schlosse ein Graf, unbändig und wild, nur von dem Raube lebend, welchen er den aus oder nach Thüringen ziehenden Kaufleuten abgejagt hatte. Aber er blieb nicht blos bei den Kaufleuten, sondern überrumpelte auch andere vorüberziehende Herren und zog dann mit seiner Beute wieder hinter die festen Mauern seiner Burg zurück.

So nahm er einst den Abt von Fulda mit mehreren Begleitern gefangen und entließ ihn erst gegen großes Lösegeld. Nach seiner Befreiung eilte der Abt an den Hof des Kaisers und verklagte den Raubritter wegen Landfriedenbruchs. Der Ritter erhält von der ihm drohenden Gefahr Nachricht, nimmt plötzlich eine andere Miene an, schickt eine Gesandtschaft an den Abt und läßt ihn gleichsam zu einem Versöhnungsfeste auf seine heimathliche Burg einladen. Inzwischen aber läßt er die Decke des großen steinernen Saales seines Schlosses ablösen und eine bewegliche von Eisen daraufführen. Der Abt nimmt die Einladung zu dem Versöhnungsfeste an und erscheint am bestimmten Tage mit einer nicht geringen Anzahl seiner Herren, und guten Muthes wird in dem steinernen Saale ein Versöhnungsmahl eingenommen. Gegen Mitternacht entfernt sich der rachedürstende Ritter, schlägt mit großer Heftigkeit die schwere Eisenthüre des Saales zu, daß sich alsbald die schwebende Decke aus ihren Angeln hebt und die unten sitzenden Herren sammt dem Abte mit Einem Schlage unter furchtbarem Krachen zerschmettert.

Nachdem der Graf seine Rache gekühlt, sieht er die schwere Schuld sammt ihren Folgen vor Augen, sattelt noch in derselben Nacht sein Pferd und stürzt mit demselben in den am Fuße des Berges liegenden Abgrund. Niemals konnte wieder eine Spur von ihm aufgefunden werden.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 47-48.
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