986. P. Athanasius Kirchers merkwürdige Vision.

[52] Im Jahre 1631 lebte im Kollegium der Jesuiten zu Würzburg Pater Athanasius Kircher, geboren zu Geysa im Stifte Fulda 1602, ein Mann von seltenen Talenten, ausgebreiteten naturwissenschaftlichen und Sprachkenntnissen, als öffentlicher Lehrer an der damals sehr besuchten Julius-Universität allgemein hochverehrt. Es war um jene verhängnisvolle Zeit, als die Bewohner Würzburgs mit ängstlicher Gemüthsspannung dem entscheidenden Zusammentreffen der beiden in Sachsen sich drohend gegenüberstehenden Heere der Liga und der Schweden entgegen harrten und deßhalb in allen Kirchen der Stadt ein allgemeines Gebet für das Waffenglück des katholischen Heeres angeordnet war, denn es ging das Gerücht, der nordische König wolle seinen Heereszug auf die »Pfaffenstraße« durch Franken nach dem Rheine hinlenken. Gegen Mitternacht nach dem blutigen Tage bei Leipzig am 7. September (an dem Gustav Adolph die Macht der Liga und des Kaisers vernichtete), erwachte Pater Kircher plötzlich aus dem Schlafe, verließ, von innerer Unruhe gequält, das Lager und schaute durch das geöffnete Fenster seiner Stube in den Hof des Gartens des Kollegiums hinab. Siehe, da erblickte er denselben ringsum von magischen Feuerflammen beleuchtet und mitten in der Lohe zwei Haufen lustiger Kriegergestalten zu Fuß und zu Roß in einem heftigen aber geräuschlosen Kampfe begriffen. Sprachlos vor Schrecken eilt Kircher aus dem Zimmer, um den Pater Superior des Kollegiums von der wunderbaren Erscheinung zu benachrichtigen, kehrt aber sogleich wieder zurück, aus Besorgniß, seine erhitzte Phantasie möchte ihm ein falsches Trugbild vorgespiegelt haben. Er beschaut sich zum zweitenmale den feurigen Kampf im Hofe, und eilt zum zweitenmale zum Superior. Auf dem Wege dahin befallen ihn neue Zweifel an der Wirklichkeit der unglaublichen Erscheinung, und nun wird er zum drittenmale Augenzeuge der gespenstigen Schlacht, welche jedoch nun allmälig zu verschwinden beginnt. Kircher erzählte am folgenden Morgen das nächtliche Schreckbild in seiner Vorlesung mit der Versicherung, es gelte dasselbe einer Niederlage des katholischen Heeres und dem Kollegium drohe naher Verfall. Wirklich bewährte ein baldiger Erfolg die traurige Vorhersage. Bereits nach Monatsfrist fiel die Gränzfestung Königshofen am 7. Oktober, und am 15. Oktober die Hauptstadt[53] Würzburg in die Hände der siegreichen Schweden. Kircher selbst floh mit den andern Mitgliedern des Ordens nach Italien, ging für die Hochschule verloren und starb hochbetagt 1680 in Rom. Sein Lieblingsschüler und Ordensbruder Pater Kaspar Schott, geboren zu Königshofen im Grabfelde 1608, gestorben als Professor der Mathematik an der Würzburger Universität 1666, hat diese Vision aus Kirchers Munde vernommen und in seiner kuriösen Physik aufbewahrt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 52-54.
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